§ 23. Cinfluß des Krieges auf das Verwaltungsrecht. 387
werden, auch wenn ihnen Gewerbsunzucht nicht nachgewiesen werden
kann; das gleiche gilt für nicht kranke Frauenspersonen, die sich auch
nur einem Manne gegen Vergütung oder ohne Vergütung mehreren
Männern hingegeben haben. Das RG. führt in der JW. 45 S. 339
hierzu aus: „Zu dieser Beschränkung der persönlichen Freiheit war
der Kommandant unbedenklich befugt. Der Zweck der Verordnung
besteht offenbar darin, daß die Besatzung der Festung vor der Ver-
führung zum außerehelichen Geschlechtsverkehr, insbesondere vor An-
steckung mit Geschlechtskrankheiten nach Möglichkeit geschützt und kör-
perlich gesund erhalten werden soll. Die Verordnung soll also zur
Erhaltung der militärischen Tüchtigkeit der Besatzung beitragen und
dient deshalb dem Interesse der öffentlichen Sicherheit.“
Verordnungen oder Verfügungen des Militärbefehlshabers nach
8§ 9b B. können auch gegen die Bestimmungen der Landes= und
Reichsgesetze erlassen werden, insbesondere auch gesetzlich gewährleistete
Rechte, die durch Konzessionserteilung geschützt sind, für die Dauer
des Kriegszustandes aufheben. Das Bayer. OL#. stellt sogar fol-
genden Rechtsgrundsatz auf:
„Selbstverständlich ist 8§9b (d. h. des preuß. BG.) und Art. 4 Nr. 2
(d. h. die dem §9 b des preuß. Belag.-Gesetzes entsprechende Bestimmung des
bayr. Kriegszustandsgesetzes vom 5. Nov. 1912 bzw. 6. August 1914) auch dann
anzuwenden, wenn zu der bereits auf Grund dieser Geschesstellen erlassenen
Anordnung ein neues Gesetz oder eine neue Verordnung auf anderer gesetzlicher
Grundlage und zu einem anderen Zwecke hinzutritt, die die gleiche Angelegen-
heit regeln, aber eine mildere Strafandrohung enthalten. Ob das neue Gesetz
oder die neue Verordnung Reichs= oder Landesrecht ist, bleibt gleichgültig.
(Urteil des RöG. St. vom 7. Mai 1915 in der DJZ. 1915, 924 und vom
8. Juni 1915 „Recht“ 1915 S. 401 Nr. 682).“ (JW. 45 S. 208).1)
1) Diese Rechtsauffassung dürfte zu weit gehen. Mit Recht hat sie das KG. ab-
gelehnt und in der JW. 46 S. 241 ausgesprochen, daß die Militärbefehlshaber nicht
befugt sind, unter Anwendung des §4 B. (und ebenso mithin des §9 BG.) bei
der Vollziehung der durch § 4 Bl) VO. über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom
24. Jum 1915 den Kriegsministerien ufw. übertragenen Beschlagnahmebefug-
nisse mitzuwirken. Es führt hierzu u. a. aus:
„Bis zum Erlaß dieser Bekanntmachung (d. h. des Bundesrates) bestand kein
Gesetz, auf Grund dessen irgendwelche Behörden Gegenstände des Kriegsbedarfs ohne
weiteres hätten beschlagnahmen und enteignen können. Solche Beschlagnahmen und
Enteignungen konnten daher bis zum genannten Zeitpunkte nur die Militärbefehls-
haber aussprechen, wenn sie diese Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit
für crsorderlich erachteten und dir Befugnis zu derartigen Eingriffen in die Rechte der
Staatsbürger aus der Machtvollkommenheil, mit der §9 B. sie ausstattet, für sich
hernehmen. Die Militärbefehlshaber sind, mag auch der Rang des einzelnen häufig
ein hoher sein. Lokalbehörden mit Wirlungskreisen, die zum Teil örtlich recht beschränkt
sind. Bei dieser Ordnung der Dinge erschien die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die
praklische Handhabung der Befugnisse zu Verschiedenheiten führte, die mit Rücksicht
auf die Schwere der Eingriffe als Mißstand empfunden werden mußte. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß die Bundesratsverordnung, die die Befugnis zur Beschlag-
nahmc und Enteignung dem Kriegsministerium, dem Reichsmarineamt und den von
ihnen bezeichneten Behörden, der Hauptsache nach also Zentralbehörden überträgt,
erlassen ist, um die Möglichkeit des bezeichneten Mißstandes tunlichst auszuschalten
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