Full text: Preußisches Verwaltungsrecht.

52 Allgemeiner Teil. 
führung seiner Vorschriften den Landesbehörden ohne nähere Abgrenzung 
ihrer Befugnisse überläßt, diese diejenigen Machtmittel anzuwenden be— 
rechtigt sind, die ihnen nach Landesrecht zustehen. Die beklagte Polizei- 
verwaltung hat sich daher innerhalb der ihr durch § 132 LVG. gezogenen 
Grenzen bewegt, indem sie dem Kläger androhte, daß sie bei Unterlassung 
der ihm gemachten Auflage die zwangsweise Impfung des Kindes herbei- 
führen werde. Freilich geht diese Androhung, wenn man sich lediglich an 
ihren Wortlaut hält, insofern zu weit, als sie der Möglichkeit nicht Rech- 
nung trägt, daß Erna C. ohne Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit 
nicht geimpft werden kann. Wegen dieses Mangels ist sie jedoch nicht zu 
beanstanden. Der eigentliche Inhalt der Androhung geht dahin, daß das 
Kind einem Arzte zur Impfung vorgeführt werden solle. Daß dieser die 
Impfung auch bewirken werde, beruht auf dem stillschweigenden, weil selbst- 
verständlichen Vorbehalte, daß der Impfung kein Hinderungsgrund ent- 
gegensteht. Übrigens hat der Kläger auch selbst nicht behauptet, daß die Imp- 
fung das Leben oder die Gesundheit des Kindes gefährde. 
Der Kläger macht noch geltend, daß die Anwendung unmittelbaren 
Zwanges nur im äußersten Notfalle erfolgen dürfe; ein solcher läge aber 
hier nicht vor. Dieser Einwand kann jedoch von dem auf die Rechtskontrolle 
beschränkten Verwaltungsrichter nicht berücksichtigt werden. Denn selbst wenn 
mit dem Kläger anzunehmen sein sollte, daß er zur Herbeiführung der 
Impfung auch durch Geld= und Haftstrafen gemäß § 132 Ziff. 2 a. a. O. an- 
gehalten werden könnte — daß also der Grundsatz ne bis in idem zu verlassen 
wäre (amtliche Sammlung Bd. 23 S. 387, 388) —, so verstößt doch die An- 
drohung unmittelbaren Zwanges nicht gegen das Gesetz. Er ist zulässig, 
„wenn die Anordnung ohne eine solche unausführbar ist“ (§ 132 Ziff. 3 
a. a. O.). Die Beantwortung, ob diese Voraussetzung gegeben ist, bewegt sich 
vorwiegend auf dem Gebiete der Notwendigkeit der Maßregel, deren Beur- 
teilung dem Verwaltungsrichter entzogen ist. Die Annahme des Klägers 
aber, daß die Unzulässigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges und 
damit auch seiner Androhung sich aus der Natur der Sache ergebe, trifft nicht 
zu. Gewiß sind Fälle, wo unmittelbarer Zwang versagt, denkbar. Daß es 
aber unmöglich wäre, ein Kind dem Arzte zum Zwecke der Impfung vorzu- 
führen, hat er nicht nachgewiesen; das Gegenteil ist in der Laskerschen Rede 
als selbstverständlich angenommen worden. Auch kann die Androhung wegen 
zwangsweiser Vorführung der Erna C. nicht aus dem Grunde, weil sie in- 
zwischen 15 Jahre alt geworden ist und die Schule verlassen hat, für unzu- 
lässig erklärt worden. Die Geltendmachung dieses Grundes durch den Kläger 
beruht auf der Annahme, als ob bei der Entscheidung derjenige Zustand zu 
berücksichtigen sei, der zur Zeit der Urteilsfällung vorlag. Diese Annahme 
ist aber unzutreffend; vielmehr ist die Rechtsgültigkeit einer polizeilichen 
Verfügung nach denjenigen Verhältnissen zu beurteilen, die zur Zeit ihres 
Erlasses bestanden. Im übrigen ist schon oben dargelegt, daß die Polizei 
befugt ist, die Nachholung einer unterlassenen Impfung anzuordnen (84 des 
Impfgesetzes). Die Ausübung dieser Befugnis ist weder an eine Zeitdauer 
gebunden, noch wird sie gegenüber den nach 8 1 Ziff. 2 impfpflichtigen Kindern 
dadurch ausgeschlossen, daß sie die Schule verlassen haben.“ 
Unzulässig aber ist es, daß die Polizei dem Vater eines impf- 
pflichtigen Kindes aufgibt, bei Vermeidung einer Exekutiv- 
strafe die Impfung binnen bestimmter Frist nachzuweisen. In solchem 
Falle ist die polizeiliche Anordnung vom Verwaltungsrichter auf-
	        
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