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Seitdem ist die vorige Pracht nie wiedergekehrt; aber wenn der Wan-
derer noch jetzt in die heiligen Raͤume eintritt, die von funfzig uralten
Pfeilern getragen werden; wenn er die ehrwuͤrdigen Schlummerstaͤtten
der Sachsenfuͤrsten in der Begraͤbnißcapelle betrachtet; wenn er alle
die Wunder der Baukunst bis zum hundert und sieben und zwanzig
Ellen hohen Thurm hinauf anstaunt — dann muß ihn Ehrfurcht
vor dem Heiligen eben so sehr, als der Schauer der Vergaͤnglichkeit
lebhaft ergreifen.
26. April.
Friedrich der Gebissene in Wahntinn.
Aus dem Leben eines Fuͤrsten, wie Friedrich der Gebissene war,
dieses tapfern Kämpfers, dieses Retters der Wettinischen Länder, ver-
dient jedes bemerkenswerthe Ereigniß oft in die Erinnerung zurück-
gerufen zu werden. Und so gedenken wir auch am heutigen Tage der
traurigen Geisteszerrüttung, in welche dieser treffliche Fürst in seinen
lehten Lebenstagen verfiel. Man erzählt, er sei mit vielem Hofstaate
am 26. April 1321 in Eisenach gewesen, und habe dort ein geistliches
Schauspiel mit angesehen, welches auf dortigem Markte die Mönche
aufführten. Es stellte das Gleichniß von den thörichten und klugen
Jungfrauen vor. Die thörichten und saumseligen Jungfrauen, welche
zu spät gekommen waren, wurden im Laufe der Vorstellung zur Hölle
verurtheilt. Sie baten um Milderung; die Heiligen alle baten für
sie; die Mutter Gottes selbst wurde ihre Fürsprecherin: aber Alles
umsonst — das Strafurtheil ward auch an den Reuigen vollzogen.
— Das soll den Landgrafen mächtig ergriffen, soll ihm Zweifel an
der Macht der Heiligen und an der Barmherzigkeit Gottes beigebracht
und plößlich den sonst so hellen Geist verwirrt haben. Wiederholte
Schlagflüsse und Lähmungen kamen dazu;z die Sprache blieb weg, und
so lag der große Mann im kläglichsten Zustande über drei Jahre bis
zum 16. November, wo der Tod ihm Lohn und. Freiheie brachte.
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27. April.
Johann Georg IT. rtirbt.
Der heutige Tag ist als Todestag des letzten protestantischen
Regenten von Sachsen bemerkenswerth für uns: Johann Georg IV.
starb am 27. April 1694. An diesem Fürsten sehe man, was in der
Regentengeschichte überhaupt so häufig zu sehen ist, wie wichtig und
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