Full text: Tägliche Erinnerungen aus der sächsischen Geschichte.

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ter, Anna Sophia Apitzsch aus Lunzenau, ungefaͤhr zwei bis drei und 
zwanzig Jahre alt, die Rolle des abwesenden Kurprinzen zu spielen und 
so den ganzen Adel eines weiten Bezirks zu taͤuschen. Unzufrieden 
mit ihrem ärmlichen Schicksale und Stande, beschloß sie, unter 
der Verkleidung einer Mannsperson ein besseres Glück in der Welt 
zu suchen. Daher verließ sie, mit Kleidungsstücken ihres abwesenden 
Vaters versehen, das väkerliche. Haus, kleidete und nannte sich männ- 
lich, durchstreifte auf gut Gluͤck das In- und Ausland, diente sogar 
vier Wochen im Anspachischen als Soldat und ließ sich endlich in 
Elterlein bei einem Baͤcker nieder, wo sie durch allerhand Kniffe, so 
wie durch ihr feines, imposantes Benehmen sich in den Ruf einer 
vornehmen, incognito reisenden Person zu bringen wußte. Zwar gab 
sie sich nie für den Kurprinzen aus, nannte sich aber ein Kind aus 
dem Hause Sachsen, den König und die Königin ihre Eltern und 
versicherte, nur ein Eid binde sie, ihre Herkunft zu gestehen. Was 
Wunder, daß der ehrliche Erzgebirger es für gewiß hielt, der Kur-- 
prinz durchwandere heimlich das Land, um mit eigenen Augen und im 
Gewande der Dürftigkeit die Beschwerden seiner künftigen Untertha- 
nen besser kennen zu lernen! So ward Prinz Lieschen, wie man den 
vorgeblichen Kurprinzen nannte, überall herrlich und mit Freuden auf- 
genommen und zwar nicht allein von dem leicht zu täuschenden Berg- 
und Klöppelvolke, sondern auch von einsichtsvollern, vornehmen Leu- 
ten. Als man sie in Buchholz festnehmen wollte, fand sie Schutz 
und ehrenvolle Aufnahme beim Accisinspector. Vogel in Oederan. Ja 
der Oberfischmeister von Guͤnther in Augustusburg, der sich schon als 
Minister der zukünftigen Regierung sah, bot ihr sein Haus als Auf- 
enthaltsort an, schenkte ihr eine prächtige Kutsche mit sechs Pferden 
und präsentirte ihr in tiefster Demuth eine Geldbörse mit dreihundert 
Dukaten. Lange konnte dieser Betrug freilich nicht dauern; das Ge— 
ruͤcht von des Kurprinzen Anwesenheit im Gebirge gelangte bald auch 
nach Dresden an des Königs Hof, welcher doch bestimmt wußte, daß 
jener sich eben in Wien befand. Prinz Lieschen — wie man die 
Betrügerin spottweise nannte — wurde daher entlarvt, durch ein 
Commando Soldaten mit dem Oberfischmeister nach Dresden abge- 
holt und sollte mit Staupenschlag und Landesverweisung bestraft 
werden. Dieses vom Leipziger Schöppenstuhle gefällte Urtheil ver- 
wandelte jedoch der König in lebenslängliche Suchthausstrafe, welche 
sie auch vom heutigen 29. November an als eine der ersten Sträf- 
linge in dem neuen Zuchthause zu Waldheim abbußte.
	        
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