Full text: Tägliche Erinnerungen aus der sächsischen Geschichte.

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wieder aus dem Hause hinaus, uͤber den Kirchhof nach dem Markte 
zu. Dort ergriff er einen Buͤrger, Hanns Fischer, zerriß und fraß ihn 
zum Theil auf. Jetzt erst war es moͤglich, das Unthier durch Schuͤsse 
zu toͤdten und seinen Verheerungen ein Ziel zu setzen. Uebrigens 
geschah zur Verhuͤtung aͤhnlichen Ungluͤckes nur das Eine, daß die 
Mauer des Gartens um anderthalb Ellen höher gemacht wurde. 
30. December. 
Karoline Ueuber, die Schaukpielerin, stirbt. 
Jeföt stehen Theater und Schauspieler unter allen gebildeten 
Nationen Europa's in hoher Achtung und werden häufig zehnfach 
besser besoldet, als der im beschwerlichen Staatsdienste ergraute 
Geschäftsmann. Das war aber noch vor hundert Jahren, wenigstens 
in Deutschland, gar nicht der Fall. Damals stand die Schauspieler- 
kunst noch auf einer äußerst niedrigen, verächtlichen Stufe; man hatte 
keine guten Theaterstucke; die Schauspieler redeten und handelten 
meist nur aus,dem Stegreif, wie es ihnen einfiel, und in ernsten, 
wie in launigen Stücken spielte der Hanswurst oder Harlebin 
mit seinen gemeinen und oft sehr unsaubern Späßen eine Hauptrolle. 
Vielfach hatte dies den bessern und gebildetern Deutschen zum Anstoß 
gereicht, und doch wagte keiner, sich hierin zum Reformator aufzuwer- 
feen. Karoline Neuber, geboren zu Zwickau und von der Natur mit 
großem Schauspielertalent begabt, gebührt die Ehre, dem deutschen 
Theater eine neue, edlere Gestalt gegeben zu haben. Sie, die in 
Leipzig eine eigene Schaubühne stiftete und eine besondere Truppe 
warb, brachte unter dem Beistande eines Leipziger Gelehrten, Gott- 
sched, gute Schauspiele zur Aufführung, veredelte den Anzug und die 
Haltung der Schauspieler und veranstaltete 1737 zu Leipzig auf ihrem 
Theater ein großes, komisches Begräbniß des Hanswurstes, den sie von 
nun an von der Bühne verbannt wissen wollte. So gelangte die 
Neuber bald zu unglaublichem Ansehen, ward an mehre Höfe und 
sogar nach Petersburg gerufen und erhielt in letzkerer Stadt jährlich 
zweitausend Rubel Gehalt, in Lübeck aber einst sogar für jeden Abend 
tausend Thaler. Fürwahr in jener Zeit eine unerhörte Summel! 
Wie geachtet und glücklich hätte sie leben können, wäre sie nicht 
der unbegrenztesten Verschwendung ergeben gewesen, und hätte sie sich 
nicht durch ihre scharfe Zunge, durch ihren Troßtz und Starrsinn viele 
Feinde zugezogen! Dadurch aber kam es zuletzt so weit mit ihr, 
daß sie zur elenden Dorfkomödiantin herabsank; ja, als sie im sieben- 
jahrigen Kriege ganz verarmt, abgerissen und krank nach Laubegast
	        
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