Full text: Tägliche Erinnerungen aus der sächsischen Geschichte.

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das Alles um des Kryptocalvinismus willen. Kryptocalvinisten 
aber hießen damals alle diejenigen Lutheraner, welche in religioͤsen 
Dingen irgend etwas annahmen und glaubten, was Calvin in Genf 
gelehrt und geglaubt hatte, heimliche Calvinianer also zu sein schie- 
nen. Namentlich in der Lehre vom Abendmahl, von den guten Wer- 
ken, von der Erbsünde und von der Gnadenwahl war bekanntlich 
Calvin von Luther mehr oder minder abweichend. Wer nun hierin 
auch nur im Geringsten von Luther's Worten abzugehen oder daran 
zu zweifeln wagte, war im Verdacht des heimlichen Calvinismus. 
Traurig, daß um solcher geringfügiger Streitigkeiten willen die prote- 
stantischen Brüder, zu großer Freude der Katholiken, sich wüthend 
befeindeten; traurig, daß die Lehrer des Evangeliums wegen dieser 
Streitfragen öffentlich auf einander schimpften und darüber ganz die 
Hauptsache des Christenthums, Besserung und Lebensreinigkeit, ver- 
gaßenz am allertraurigsten, daß vom Fürsten bis zum Niedrigsten im 
Volke Alle an diesen Meinungskämpfen Theil nahmen, sich haßten 
und verfolgten und vielfach unglücklich machten! — Kurfürst August, 
der ein strenger, eifriger Lutheraner war, glaubte es eine lange Zeit 
durchaus nicht, daß auch in Sachsen, und zwar an seinem eignen 
Hofe, solche heimliche Verehrer des Schweizerreformators seien. 
Was die angesehenen Männer Krakau, Peucer, Stößel und Andere, 
die um ihn waren, ihm in Glaubenssachen sagten, hielt er für rein 
Lutherisch. Darum setzte er in den Ernestinischen Ländern, wo er 
Vormund war, einst in wenig Tagen hundert und elf Prediger, die 
ihm nicht streng Lutherisch schienen, plötzlich ab, weil seine Theologen 
ihm diese als Irrgläubige geschildert hatten. Wie erschrak er aber, 
als er nach mehren Jahren erst einsah, daß die ihn umgebenden 
Staatsbeamten fast durchgehends Calvinistisch gesinnt waren und eifrig 
daran arbeiteten, das ganze Land zum Calvinismus zu führen! Wie 
erstaunte er, als er in einem Briefe seines Hofpredigers Schütz, den 
dieser an einen Freund in Kassel geschrieben hatte, die Worte fand: 
Wenn wir (Calvinisten) nur erst die Mutter Anna auf unsere 
Seite haben, so wollen wir den Herrn auch bald kriegen!— 
Nun wurden diese Vertrauten des Kurfürsten ins Gefängniß ge- 
worfen und auf die Folter gebracht; nun wurden andere Prediger 
wieder abgesetzt; nun wurde aufs strengste vorgeschrieben, was man 
glauben und lehren solle, und deshalb die damals verfertigte Concor- 
dienformel als Glaubensnorm in Sachsen aufgestellt. — So 
stritt und kämpfte man vor fast dreihundert Jahren um unwichtiger 
Nebendinge willen.
	        
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