Polizeigewalt 119
gesetzliche Vorschriften eine Abweichung von diesem Grundsatz recht-
fertigen (OVG. 18. Juni 1902 1 8 264 und 16. März 1890118 17,
Od#. 24. April 1902, Jahrb. 1 26, Annalen XXIII 428).
1. Açicht jede Beeinträchtigung, die der Staatsbürger im ge-
sellschaftlichen Lebeen durch Dritte erleidet, sei es durch gesellschaftliche
Veranstaltungen, bauliche Anlagen oder gewerbliche Tätigkeit, berech-
tigt die Polizeibehörde zum Eingreifen. Dazu gehört vielmehr, daß
die Belästigung das Alaß überschreitet, das die Allgemeinheit und
daher auch der einzelne als unvermeidliche Folge des gesellschaftlichen
Zusammenlebens ertragen muß, und daß zugleich eine Störung der
öffentlichen Ordnung vorliegt. Das letztere ist nicht der Fall, wenn
die Störung nicht über die Grenzen des Nachbargrundstücks hinaus-
reicht und nur einen individuell bestimmten, engbegrenzten Personen-
kreis trifft; gegen Störungen dieser Art gewährt das Nachbarrecht (s. d.)
ausreichenden Schutz (OV. 27. April 1901 I1 8 34, 22. Aug. 1901
1 § 152, 25. Sept. 1901 1 8 196 und 1. Mlrz 1902 1 82, Jahrb. 1 43,
200, II 238, Reger XXIII 136). Andrerseits hat sich der Eigentümer
bei Benutzung seines Grundstüchs die Beschränkungen gefallen zu
lassen, die der Verkehr mit anderen und das Leben in einer großen
Gemeinschaft mit sich bringt. Seine Privatinteressen müssen zurück-
treten, wenn sie mit den höheren allgemeinen Interessen unvereinbar
sind (OVG. 22. Nov. 1902 1 8 277). Auch durch den Grundsatz der
Gewerbefreiheit ist daher die Polizeibehörde nicht behindert, die Aus-
übung des Gewerbes in wohlfahrts= und sicherheitspolizeilichem Inter-
esse zu beschränken (s. Gewerbe I 1). Im Wege baupolizeilicher Ver-
fügung kann zu gunsten des Nachbars nur eingeschritten werden,
soweit dabei subjektive Rechte oder rechtlich geschützte Interessen in
Frage kommen (s. Nachbarrecht I. Bauwesen XII 6). Die Baupolizei-
behörde ist dabei auf die baupolizeilichen Vorschriften beschränkt und
hat, soweit solche nicht vorliegen, das Einschreiten der Wohlfahrts-
und Gewerbepolizei zu überlassen (s. Bauwesen XII 5). Auch gegen-
über der Kirche gilt das Recht der Polizeigewalt, Anordnungen zum
Schutze von Leben und Gesundheit zu treffen; auf innere kirchliche
Angelegenheiten leidet es jedoch nur insoweit Anwendung, als eine
unmittelbar drohende Gefahr alsbaldiges Eingreifen erheischt (OV.
18. Juni 1902 1 8 264, Jahrb. III 63). Unzulässig ist das polizeiliche
Einschreiten gegen den, der die gute Ordnung nur mittelbar stört
(OV#. 17. Jan. 1903 1 8 292). Vorbeugende Maßregeln, die einen
unmittelbaren Eingriff in den Rechtskreis des einzelnen enthalten, be-
dürfen besonderer gesetzlicher Ermächtigung; Schwierigkeiten der Uber-
wachung, die nicht in der Eigenart des zu überwachenden Unter-
nehmens liegen, rechtfertigen das Einschreiten nicht (OV. 20. Dez.
1902 1 8 187). — Nach den vorstehenden Gesichtspunkten bestimmen
sich die Grenzen polizeilichen Einschreitens namentlich gegenüber ge-
werblichen Anlagen (s. d. 1 2), Wasserverunreinigungen (s. Wasserrecht),