Entstehung der romanischen Nationen. Die beutsche Sprache. §§ 89—90. 65
Karl schwur im damaligen Deutsch:
In godes minna ind in thes christiänes folches ind unser bedhero
gehaltnisst, fon thesemo age frammordes, s5 fram so mir got geunizci
mdi mahd furgibit, s5 haldih thesan minan brucdher, söso man mit rehtu
sman brunodher scal, u. s. w.“)
So entstand nun das Französische, die älteste der romanischen
Sprachen. — Ein ähnliches Verhältnis, wie in Gallien die Franken zu den
Welschen hinsichtlich ihrer Sprache gehabt hatten, hatten die Langobarden
in Stalien. Auch diese gaben seit dem 10. Jahrhundert mehr und mehr die
deutsche Sprache auf; hier entstand aus der Vermischung mit dem Lateinischen
das spätere Italienische. Die Westgoten in Spanien, die damals vor
der Arabermacht in die nördlichen Gebirge der Halbinsel gewichen waren,
waren schon lange romanisch; sie hatten die spanische Sprache gebil-
det, die gleichfalls mit deutschen Elementen versetzt ist und von der sich
fpäter, als die Christen erobernd gegen die Ungläubigen vordrangen, das
Portugiesische abzweigte. — So wich zwar die deutsche Sprache aus den
übrigen Ländern Europas, aber nicht ohne in den genannten romanischen
Sprachen die tiefen Spuren ihrer einsigen Herrschaft zurückgelassen zu haben.
S 90. Die deutsche Sprache aber unterschied sich schon damals in die
hoch= und niederdeutsche. Niederdeutsch (plattdeutsch) redeten die Sachsen.
Als Beispiel, wie ihre Sprache, das Altsächsische (dem das Friesische und
Angelsächsische nahe verwandt war), damals lautete, diene eine Probe
aus dem oben (§ 72) erwähnten Gedichte, dem Heliand.
Thuo sia thar an griete galgon rihtun
an them felde uppan folc Judeono,
bom an berege, endi thar an that barn godes
duelidun an crucie: slogun Cald isarn,
niuna naglos nithon scarpa
hardo mid hamuron thurn is hendi endi thuru is fuoti,
bittra bendi: is blod ran an ertha,
dror fan uson drohtine etc.
Dann sie da auf dem Grieße (Sand) (einen) Galgen errichteten
auf dem Felde oben (das) Volk der Juden,
(einen) Baum auf dem Berge, und daran das Kind Gottes
quälten am Kreuze: schlugen kalt Eisen,
neue Nägel unten scharfe
art mit Hämmern durch seine Hände und durch seine Füße,
ittre Bande: sein Blut rann zur Erde,
das Blut von unserm Herrn u. s.w.
Das Hochdeutsche teilte sich nach den Stämmen in Dialekte: in das
Fränkische, Alamannische, Bayrische; doch überwiegt in dieser Zeit
der erstere Dialekt. Man nennt das Hochdeutsche bis zur Mitte des 12. Jahr-
hunderts das Althochdeutsche. Als Probe desselben diene eine Stelle des
*) Beides heißt: Aus Liebe gegen Gott und wegen des christlichen Volkes und unser
beider Erhaltung von diesem Tage an fernerweit, so lange mir Gott Wissen und Kraft
verleihta. 6 halte ich diesen meinen Bruder (und will ihm zu Hilfe sein in jeder Sache)
wie ein Mensch mit Recht seinen Bruder soll, u. s. w.
David Müller. Geschichte des deutschen Volkes. 12. Aufl. 5