Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

14 Charakter, Sitten und Gemeindeleben der Germanen. 85§P 14—15. 
einzelnen freien Mannes, der sich durch sprödes und stolzes Selbständig- 
keitsgefühl auszeichnete. Städte, die ihnen Gefängnisse däuchten, waren noch 
nicht vorhanden. Im allgemeinen lebten sie in Dörfern, doch mit geschlossenen 
Hofstätten; auch kommen mit Wall und Graben umzogene feste Plätze als 
Bergungsstätten vor. Blockhäuser, von Baumstämmen #ntx und stark erbaut 
und am Giebel mit Kalk getüncht, erhoben sich als Wohnungen des freien 
Besitzers. Den Acker bauten die Frauen und wer von den Männern zun 
Waffendienst nicht fähig war. er größern Besitz hatte, ließ wohl auch 
Teile durch Knechte und Hörige bewirtschaften und empfing deren Abgaben. 
Dem Germanen selbst schien Jagd und Krieg, sonst Nichtsthun, allein des 
Freien würdig. Die Kleidung bestand in dem wildreichen Lande zwar vor- 
zugsweise aus Pelzwerk, doch ward von den Weibern Leinwand gewebt, und 
bei den Reichern waren Spangen von edlem Metall bereits keine Seltenheit. 
Heilig war das Hauswesen und vor allem die Ehe, die geschlossen ward, 
indem der Mann der Jungfrau nicht Gold, sondern ein Roß, ein Rinder- 
gespann und Waffen darbot. Das Weib waltete dann hochgeehrt als Herrin 
Krau im Hause; ja in ihr verehrte der Germane etwas Heiliges und 
rophetisches. Oft begleiteten die Weiber das ausrückende Heer der Männer 
zum Kampfe und ihr Ruf befeuerte jenen den Mut. Die Kinder der Freien 
und der Sklaven wuchsen miteinander auf, bis die Wehrbarmachung den 
Fseborenen unterschied. Die Waffen bestanden in der Framea, dem 
rchtbaren Wurfspieß, den sie auf unglaublich weite Entfernungen schleu- 
derten; ferner in Schwertern, langen Lanzen, Axten und Keulen, Bogen 
und Pfeil. Die Schilde waren von Holz und mit glänzenden Farben be- 
malt. Auch gerüstete Reiter kommen vor, während die Fußgänger, die ge- 
wöhnlich mit jenen untermischt kämpften, ohne Harnisch waren. Ihre 
S lachtordnug bildeten sie keilförmig; in ihr standen sie nach Familien, 
Geschlechtern, Gauen zusammengeschart; Bilder wilder Tiere wurden als Feld- 
zeichen den einzelnen Stämmen vorangetragen. Vor der Schlacht stimmten 
sie den Barritus, den Kriegsgesang, an. Weichen galt nicht für schimpflich, 
wenn man wich, um zu neuem Angriff sich zu sammeln. Den Schild zu 
lassen, war die ärgste Schmach. Tempel hatten sie nicht, sie beteten die 
Götter in Hainen und Wäldern an; ein besonderer Priesterstand, wie die 
Kelten in ihren Druiden ihn hatten, fehlte; es übte nach alt-arischer Weise 
der Vater für das Haus, der Fürst für den Gau, der König, wo Königs- 
herrschaft bestand, für den Staat die priesterlichen Dienste: Opfer und An- 
rufung der Götter. Aber man hatte der religiösen Gebräuche setr viel: 
man warf das Los, beobachtete den Vogelflug, horchte auf das Wiehern 
der Rosse und suchte den Ausgang der Schlacht durch einen zuvor ange- 
stellten Zweikampf vorherzusagen. Ebenso achtete man auf Tage und Zeiten, 
Neumond und Vollmond. — Die großen Tugenden des Volkes, Tapferkeit, 
Keuschheit, Wahrhaftigkeit und Gastfreiheit, fanden nur in den Lastern des 
Trunkes und des Spieles einen entstellenden Gegensatz; aber selbst in diesen 
noch konmte man Stärke des Muts und Ehrenhaftigkeit der Gesinnung be- 
wundern. 
§5 15. So etwa schildert uns Tacitus den Charakter, so die Sitten 
unserer Vorfahren, ein vollständiges Bild von ihrem Sein und Wesen ge- 
winnen wir aber erst, wenn wir auch das Gemeindeleben der Germanen uns 
vorstellen. Tacitus giebt uns auch hier reiches Material, andere Quellen 
ergänzen seine Skizze zu volleren Formen. Alle Freien hatten an dem 
Gemeindeleben Anteil. Es gab zwar neben den Freien noch Edelinge
	        
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