Rarl der Große. 768 814. 88 72 - 76. 55
lieb, und kaum ein Menschenalter nach ihrer Unterwerfung ging aus ihrer
Mitte das innige Gedicht vom Heiland, Heliand, hervor, welches in ihre
Sprache, das alte Niederdeutsche oder Altsächsische, das Evangelium dichterisch
übertrug. Sie waren fortan einer der tüchtigsten Stämme des großen
Reiches. Karl stellte sie an Unabhängigkeit den Franken gleich; Sitten und
Bräuche der Vorfahren behielten sie in zäher Eigentümlichkeit; auch fand
das fränkische Lehnswesen zunächst keine Stelle unter ihnen.
73. Nach dem Fall der Sachsen unterwarfen sich Karl dem Großen
auch die noch freien, östlichen Fries en an der unteren Ems und Weser; die
westlichen waren schon von Karl Martell und Pippin mit Glück bekämpft
worden (§ 63). Doch behielten sie ihre Rechte (Küren), und Karl gewährte
ihnen, daß sie zu keiner Heeresfolge ausgeboten werden dürften; denn, so lautet
es in ihrem Gesetz, „das ist Recht, daß der freie Friese auf keiner Heerfahrt
weiter dürfe ziehen, als mit der Ebbe aus und mit der Flut zurück, wegen
der Not, daß er das Ufer alle Tage bewahren soll wider die salze See und
die grimmen Seeräuber, mit fünf Waffen, mit dem Spaten und der Gabel.
(kurka), mit Schild und Schwert und der Spitze des Speeres.“ So blieben
sie im ganzen in ihrer Unabhängigkeit und Abgeschlossenheit.
8 74. Zwischen diese bedeutendsten Unternehmungen König Karls fallen
noch mehrere bemerkenswerte Thaten und Feldzüge. Auf dem Meifelde zu
Paderborn, 777, erschien ein sarazenischer Fürst aus Barcelona in Spanien
und bat Karl um Hilfe gegen den Emir Abderrhaman von Cordova. Das
Reich der Araber nämlich, das seit dem Falle der Westgoten (5 41) in Spanien
bestand (§ 58), litt bereits durch innere Streitigkeiten und durch Aufstände
der großen Statthalter. Karl benutzte diese Gelegenheit zu einem Feldzuge
über die Pyrenäen, 778. Wohl nahm er Pamplona, wohl drang er über
den Ebro bis Saragossa vor, aber dauernde Erwerbungen vermochte er nicht
zu machen, und auf dem Rückzuge ward sein Nachtrab im Thal von Ronces-
valles (nordwestlich von Pamplona) von den Gebirgsbewohnern, den Basken,
überfallen und mehrere Edle Karls wurden erschlagen. Unter diesen wird
auch Ruotland oder Roland, Graf der brittischen Mark, genannt. Mehr
wissen die ältesten Quellen nicht zu erzählen. Aber dieser Roland ward
später, zur Zeit der Kreuzzüge, ein Liebling der Sage, die ihn zum Neffen
Karls des Großen macht und, von dem schlimmen Ganelon verraten, hier
im Kampf mit den Ungläubigen den Heldentod sterben läßt.
& 75. Die Bayern hatten, wie wir gesehen, allein noch im Frankenreiche
einen Volksherzog an ihrer Spitze, den Agilolfinger (5 53) Tassilo. Unter
Pippin hatte er sich der Abhängigkeit thatsächlich entzogen, Karl hatte ihn
wieder zur Anerkennung der Vassallität gezwungen, doch er blieb unzuverlässig.
Mit Adelchis (§ 70), dem er verschwägert war, ließ er sich in Umtriebe ein.
Von Karl deshalb zur Rechenschaft gezogen und streng beobachtet, soll er sich
an die Avaren um Hilfe gewandt haben. Diese Beschuldigungen gaben Karl
Gelegenheit, die letzte Herzogsgewalt, die sich bisher ziemlich selbständig
gehalten, aufzuheben. Tassilo ward zu Ingelheim des Hochverrats an-
geklagt, zum Tode verurteilt, von Karl aber begnadigt und mit Weib und
Kind in das Kloster geschickt, Bayern ward in Grasfschaften aufgelöst und
von nun an wie die übrigen Teile des Frankenreichs regiert, 788.
76. Gegen die finnisch-türkischen Avaren, die von ihren Sitzen in
Ungarn (§§ 42. 43) Deutschland und Italien verheerten, unternahm dann Karl.
791 einen Feldzug. Er trieb sie bis tief in ihr Land zurück, und als er selbst
gegen die aufgestandenen Sachsen ziehen mußte (§ 71), eroberte 796 sein Sohn