Erneuerung des römischen Raisertums. ###pst und Raiser. 195 78—80. 57
Petrus, der Apostelfürst, sollte hier auch selbst Bischof der Gemeinde ge-
wesen sein. Hier, meinte man, müsse auch der Quell der christlichen Lehre
am reinsten strömen, und alle Gemeinden müßten darnach trachten, mit Rom
in Einklang zu stehen. In den großen Glaubensstreitigkeiten, die vom 4.
bis zum 9. Jahrhundert die Kirche bewegten, hatten die römischen Bischöfe
stets fest an der orthodoxen, d. h. an der von den Konzilien als rechtgläubig
bezeichneten Lehre gehalten. Und das konnte nur dazu beitragen, ihr An-
sehen zu erhöhen, denn da die germanischen Eroberer, wie wir geühr
haben, Arianer, mithin Ketzer waren, während die altrömische oder welsche
Bevölkerung zur orthodoxen katholischen Lehre hielt, so mußte diese ihren
geistlichen Schirmer und Hort in dem Bischof von Rom sehen, der in der
ehemaligen Hauptstadt der Welt thronte. Großgesinnte Bischöfe hoben dann
das Ansehen ihres Stuhles noch durch den Wert ihrer Thaten: so jener Leo
der Große, der den Attila zur Umkehr aus Italien bewog 452 (§ 32);
so jener Gregor der Große (§F§8 43. 62) 590—604, der die Angelsachsen
bekehrte und der dem katholischen Gottesdienste seine prächtigen Formen gab,
durch die er auf die Gemüter des Volks so staunenerregend wirkte. Schon
damals nannte man den römischen Bischof vorzugsweise Papst. — Seit die
Franken unter Chlodovech zuerst unter den germanischen Völkern dem
atholischen Glauben sich zugewandt, hatte eine besondere Freundschaft
zwischen ihnen und Rom bestanden, die durch die Feindschaft des Papstes
und der Langobarden (§8§ 43. 59. 70) nur fester geknüpft wurde. Nun
war aus ihrer Mitte das Reich hervorgegangen, das alle Germanen um-
faßte, und die katholische, die römische Kirche war durch sie die überall
herrschende geworden. Deshalb bestand schon ein enges Bündnis Pippins mit
dem Papste, der seiner geraubten Krone die heilige Weihe gab; enger noch
wurden die Beziehungen unter Karl dem Großen, und die Verbindung beider
roßen Mächte der damaligen Zeit, des Reiches und der Kirche, fand zu-
etzt in der Kaiserkrönung Karls ihren angemessenen Ausdruck.
79. Als Karl 799 in Paderborn verweilte, kam zu ihm Papst
Leo III, der in Rom von den Verwandten seines Vorgängers bei einer Pro-
zession schwer zashandelt worden und mit genauer Not entwichen war. Karl
ließ ihn zurückführen, kam dann selbst mit einem Heere nach Rom und
setzte ihn wieder ein, nachdem Leo in der vorgenommenen Untersuchung und
durch einen Reinigungseid sich von den Anschuldigungen, die gegen ihn er-
hoben wurden, gereinigt hatte. Da nun geschah es, am Weihnachtstage des
Jahres 800 (nach damaliger Rechnung am Anfange des neuen Jahrhunderts),
daß in St. Peters Dom der Papst dem großen Frankenkönige die römische
Kaiserkrone aufsetzte, und alles Volk, das gegenwärtig war, rief: „Carolo
Augusto, dem von Gott gekrönten, großen und friedeschaffenden Kaiser der
Römer, Leben und Sieg!"
§ 80. Erst mit dieser Kaiserwürde erhielt die Macht Karls des Großen
ihre volle Bedeutung. In den Augen der Völker war fortan das römische
Reich, das einst die Welt beherrscht hatte, wieder erneuet. Der Kaiser stand
an der Spitze des Reiches, das die ganze Christenheit umfassen sollte, und
erschien als der oberste Herrscher und Beschirmer derselben. Von ihm ging
alle irdische Macht, alles Regiment auf Erden aus und verbreitete sich die
Stufen abwärts auf Könige, Herzöge, Grafen bis zum letzten Lehnsmann
hinab. Ein neues Weltreich, aber ein christliches, war gegründet. Denn
vor allen Dingen war der Kaiser ein Beschützer der christlichen Ordnung
und des rechten christlichen Glaubens. In diesem Berufe fühlte er sich