Full text: Geschichte des deutschen Volkes.

58 Innere Gestalt des Frankenreiches unter Karl dem Großen. 95 80—82. 
eigentlich allen, aber keiner Nation besonders angehörig; doch waren es jetzt 
die Deutschen, wie einst die Römer, auf denen die neue Weltherrschaft be- 
ruhte. Aber der Gedanke des Kaisertums, groß und schön an sich, war zu 
hoch, als daß er je verwirklicht werden konnte; selbst Karl der Große gebot 
nicht über alle Christen, denn neben ihm stand mit gleichem, wenn auch ohn- 
mächtigen Ansprüchen der oströmische Kaiser, der in Konstantinopel residierte; 
ja nicht einmal alle christlichen Germanen gehorchten ihm: die Angelsachsen 
auf ihrer Insel blieben dem großen Reichsverband fern. Und was Karl 
der Große nicht erreichte, bat auch kein anderer Kaiser je nach u errungen. 
8 81. Wie der Kaiser das weltliche Schwert führt, so führt der Papft 
das geistliche; beide Schwerter (wie man die beiden Gewalten in einem biblischen 
Bilde Luc. 22, 38 später bezeichnete) sollten unvermischt bleiben. Noch galt 
der Papst in weltlicher Beziehung als des Kaisers Unterthan. Aber er war 
der geistliche Vater, aus dessen Hand der höchste irdische Herrscher ehrfürchtig 
die Krone empfing. So glich sich der Unterschied aus, und beide erschienen 
in einer gewissen Gleichheit nebeneinander. Der Papst stand an der Spitze 
des geistlichen Staates, der Kirche. Auch er war Quell aller geistlichen 
obrigkeitlichen Ordnung; Erzbischöfe, Bischöfe, bis zum untersten Kleriker 
(Geistlichen) hinab, hatten ihr kirchliches Ansehen von ihm herzuleiten.) Reich 
und Kirche sollten sich unterstützen und ineinander leben, wie Seele und Leib: 
Das Reich schützt die Kirche mit dem Schwert gegen alle Feie die Kirche 
heiligt jegliche Ordnung im Reich. So waren die beiden großen Gewalten des 
Mittelalters geschaffen, die jetzt noch im Frieden zusammen wirkten, wie sie 
sollten, und sich in gegenseitigem, richtigem und schönem Gleichgewicht hielten. 
8. Innere Gestalt des Frankenreiches unter Karl dem Großen. 
§5 82. In dem großen Reiche waltete nun eine ähnliche, aber ver- 
besserte Ordnung wie ehedem unter der Merovingenherrschaft (6 54). Die 
alten Stammesherzogtümer, die nur immer vom neuen Herde der Wider- 
setzlichkeit gegen die oberste Reichsgewalt gewesen, waren in Deutschland gänz- 
lich aufgelöst, nur bei den Britten und Vaskonen und in Stalien bestan- 
den noch solche. Statt dessen war das ganze Reich in Gaue eingeteilt, 
über welche Gaugrafen gesetzt waren, und die Gaue wieder in kleinere 
Bezirke, die Hundertschaften, welche unter Centenaren standen. Unter 
dem Vorsitze des Grafen versammelten sich dreimal im Jahre alle Freien 
des Gaus zum Gericht (ungebotene, echte Dinge), und sonst konnte der 
Graf die Freien berufen, wenn es ihm notwendig erschien (gebotene Dinge), 
doch fanden außer an den drei feststehenden Gerichtstagen gewöhnlich 7 bis 
12 Schöffen das Urteil, Männer, die aus den Ansehnlichsten des Gaus ge- 
wählt waren und auf des Grafen Ruf sich versammelten. War der Graf 
verhindert, so vertrat ihn der Centenar, der jedoch nicht einem Gerichte vor- 
sitzen konnte, das über Leben und Freiheit entschied. Im Kriege führte der 
Graf den Heerbann des Gaus. Längs den Grenzen hin bestanden die 
Marken, über welche Markgrafen gesetzt waren mit ausgedehnteren Voll= 
machten, als sie die Gaugrafen hatten. Die Marken waren gewissermaßen 
Militärgrenzen, ebensowohl zur Verteidigung des Reichs wie zum Angriff 
eingerichtet, der Markgraf Befehlshaber der zum Grenzschutz bestimmten 
Mannschaften — den größten Teil bildeten wohl die in den Marken als 
  
  
*) War unter Karl die Stellung des Papstes auch schwerlich so hoch und erhaben, 
unter Karls Nachfolgern stieg die päpstliche Gewalt schnell zu dieser Höhe empor.
	        
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