270 Sympathien uud Antipathien in der Schweiz.
Die europäische Schwester-Republik, die Schweiz, zog gleich
zu Anfang des Jahres die Aufmerksamkeit auf sich. Durch den
Uebertritt der Bourbaki'schen Armee wurde sie am Schluß des deutsch-
französischen Krieges auch noch in Mitleidenschaft gezogen und hatte
die 80,000 bis 90,000 Franzosen in den Kantonen zu unterhalten.
Dies war von manchen Unbequemlichkeiten begleitet. Die Bevöl-
kerung verhielt sich gegen die rothhosigen Ankömmlinge meist sym-
pathisch. Selbst von gebildeten Frauen der deutschen Schweiz konnte
man die Aeußerung hören, daß jene sich die Herzen im Sturm
erobern. Niemand, der die Schweiz aus eigener Anschauung kennt,
hat sich darüber gewundert. Von den französischen Kantonen ist
hier nicht die Rede. Daß diese mit Frankreich sympathisirten, war in
diesem speciellen Falle zwar nicht nothwendig, aber doch erklärlich. Und
doch gab es selbst in diesen, besonders unter denjenigen Einwohnern,
welche deutsche Universitäten besucht hatten, rühmliche Ausnahmen.
Nur um die deutsche Schweiz, nur um diejenige Bevölkerung, welche
deutscher Abkunft ist, dem alemannischen Stamm angehöärt, fast ihre
ganze Bildung aus Deutschland empfängt, handelt es sich. Diese
Schweiz hat sich seit langer Zeit daran gewöhnt, in dem centrali-
sirten Frankreich eine Firma ersten. Ranges, in dem zerklüfteten
Deutschland ein heruntergekommenes Geschäftshaus zu erblicken.
Von Hinneigung dieser Deutschen zu Deutschland fand man wenige
Spuren, vielfach dagegen ein übermüthiges Gebahren, welches nicht
bedachte, daß diese republikanische Freiheit in manchen Zweigen des
staatlichen Lebens, besonders in der Justizpflege, da und dort mit
republikanischer Barbarei eine bedenkliche Aehnlichkeit habe, auch nicht
bedachte, daß nach dem Sonderbundskriege, auf die Frage, ob das
schweizerische Heer sich wohl mit dem Heere eines der monarchischen
Staaten messen könnte, von einem der ersten schweizerischen Militärs,
dem Oberst Ziegler von Zürich, die Antwort gegeben wurde: „Wenn
unsere Officiere nicht besser vorangehen als im Sonderbundsfeldzug,
ist es nicht möglich.“ Solche innere Schäden vergessend, immer
nur die, allerdings nicht unbedeutende, internationale Stellung,
welche ihren Hauptschutz in der gegenseitigen Eifersucht der aus-
wärtigen Mächte fand, ins Aug fassend, das Wort „Republik“ als
politischen und moralischen Talisman betrachtend, in Volksreden bis
zu Sempach und Morgarten aufsteigend, gewöhnten sich die Schweizer,
eine sehr vortheilhafte Meinung von sich zu haben, ohne sich gerade