Full text: Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg.

168 Die Presse. 
  
400 Zentrum, 277 freisinnig, 79 sozialdemokratisch, 23 polnisch und 
4 dänisch. Das bedeutet, da die Parteiunterschiede zunächst völlig zurück- 
traten gegen die Stellung zum Kriege im ganzen, eine erhebliche Mehrheit 
der auf nationalem Boden zu vereinigenden Blätter. Es stand in der 
deutschen Presse trotz mangelnder Propagierung oder Vorbereitung des 
Krieges das geeignete Instrument zur Verfügnug, das Volk im Sinne 
einer kraftvollen Kriegführung aufzuklären und einer abweichenden 
Mehrheitsbildung vorzubeugen. Die deutsche Presse hat nach den Ein- 
drücken, welche die O. H. L. gewann, lange auf eine politische Führerschaft 
gewartet. 
Auf sich allein gestellt konnte die national gesinnte Mehrheit der deut- 
schen Presse allerdings der weltgeschichtlichen Aufgabe nicht gerecht werden. 
Nicht nur, daß mit dem Verzicht des leitenden Staatsmannes der Führer 
und damit die geistige Leitung und Unterstützung fehlten, sondern es 
lasteten auch die materiellen Folgen des Krieges gerade auf den Blättern 
am schwersten, die gewillt gewesen wären, sich hinter eine entschlossene 
Kriegsleitung zu stellen. Die großen kapitalistischen Verläge befanden 
sich nicht in ihrem Lager. Es war mehr die breite Masse und die Mehrzahl 
der in der Provinz erscheinenden Zeitungen. Etwa 600 Zeitungen wurden 
im Kriege weniger gezählt als im Frieden. Dieser Ausfall kam aus- 
schließlich auf die außerhalb Berlins erscheinende Presse. Es gab Blätter, 
die im Frieden mit vier Schriftleitern gearbeitet hatten, im Kriege aber 
allein durch den Geschäftsführer oder den Verleger geleitet wurden. Die 
Auflage und der Umfang ging bei fast allen Blättern — die großen Ver- 
läge ausgenommen — infolge der Papierknappheit zurück. Der von der 
Reichsregierung erwogene Fortfall des Reichszuschusses zu den Papier- 
preisen hätte vor allem den nationalen Teil der Presse getroffen. Ich habe 
dargelegt, wie der militärische Pressedienst es sich angelegen sein ließ, die 
erlahmenden Kräfte desselben durch Mitarbeit zu stützen und wie die 
O. H. L. sich bemühte, von diesem abzuwenden, was ihm abträglich werden 
konnte. Die politische Presseleitung hatte oder betätigte dieses Interesse 
für die nationale Presse nicht. Ich habe genügend betont, welchen schweren 
Fehler die O. H. L. darin erblickte, daß die politische Presseleitung nicht bei 
dem für die Gesamtpolitik verantwortlichen Reichskanzler, sondern beim 
Auswärtigen Amt lag. Diesem war die nationale Presse schon im Frieden 
wesensfremd gewesen und blieb es auch im Kriege. Dazu kam, daß die 
breite Masse der deutschen Presse, die für die Stimmung im Innern von 
ausschlaggebender Bedeutung war, außenpolitisch allerdings fast, jedenfalls 
zum größten Teil, einflußlos und damit für das Auswärtige Amt ohne un- 
mittelbare Bedeutung war. Hieraus allein erklärt sich die sonst unver- 
ständliche Interesselosigkeit der politischen Presseleitung für die deutsche
	        
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