Die Regierung und die Parteien. 193
Das Auswärtige Amt übertrug die politische Defensive, in der wir
uns von Anfang an befanden und in der wir uns hielten, auch auf die
Volksstimmung. Ein Erstarken der Volksstimmung lag nicht im Sinne
dieser Defensive. Ein Stehenbleiben der Volksstimmung gab es aber nicht.
Ein Nachlassen mußte die Folge sein. Dem konnte die O. H. L. nicht zu-
stimmen. Sie mußte eine starke und entschlossene Volksstimmung fordern.
Es fehlte an der zwischen Auswärtigem Amt und Heeresleitung hierin
vermittelnden Stelle. Beständige Reibungen waren deshalb unausbleiblich.
Das Auswärtige Amt zog es vor, seinen Ansichten durch private
Verbände im Volke den Boden bereiten zu lassen. Das mag für die
Handhabung auswärtiger Politik, deren Ziele aus Rücksicht auf den Feind
vorsichtiger in die OÖffentlichkeit geleitet werden müssen, das richtige Ver-
fahren sein. Der Nationalausschuß und die dem Abgeordneten Erzberger
übertragene unverantwortliche Rolle waren Beispiele dafür. Es war dann
aber nicht verwunderlich, daß dies anders gerichtete private Gründungen,
wie die Vaterlandspartei, hervorrufen mußte. Auf diesem Wege wurde
die Volksstimmung zerrissen.
Sie verlangte, von einer Persönlichkeit und nicht von einer Vielheit
oder anonym geführt zu werden. Sie verlangte auch auf politischem
Gebiet einen Mann, an den sie glauben konnte, wie sie militärisch an den
Generalfeldmarschall v. Hindenburg glaubte. Die politische Reckengestalt
eines Bismarck stand in der Erinnerung des deutschen Volkes. Diese Forde-
derung konnte nur eine Persönlichkeit erfüllen, die keinen Höheren über
sich duldete, die also nicht einer der Staatssekretäre, sondern nur der Reichs-
kanzler sein konnte. So drängte militärisch wie politisch alles darauf hin,
daß dieser die Führung übernahm. General v. Falkenhayn suchte die
Lösung durch seine Zurückhaltung in politischen Dingen. Der General-
feldmarschall und General Ludendorff suchten sie dadurch herbeizuführen,
daß sie den Reichskanzler zur Übernahme der Führung drängten und
schließlich selbst von einem Kanzlerwechsel die notwendige Lösung er-
warteten.
Dieses Verlangen nach einer starken Regierung kreuzte sich mit dem
Streben der Parteien nach eigener Macht. Abgesehen von dem historischen
Machtstreben der Sozialdemokratie, wurden die Parteien von derselben
Überzeugung getrieben wie die HO. H. L., daß wir mit dem politischen
Gehenlassen und einer kraftlosen Regierung, die nur noch die Sozial-
demokratie und der dieser nahestehende Teil der Demokratie billigte, den
Krieg zu keinem guten Ende führen könnten. Im Winter 1916/17 begann
die Suche nach einem neuen Reichskanzler. Sie wurde unmittelbar durch
die Erregung über den U--Bootkrieg und über das Verhalten Amerikas
sowie durch den Streit um das Wahlrecht veranlaßt. Es war ein trau-
Nicolal Nachrichtendienst, Prefse und Volksstmmung im Weltrrieg. 13