194 Die Regierung und die Parteien.
riger Anblick, wie führende Männer aller, außer den genannten Parteien,
das Unhaltbare des bestehenden Zustandes anerkannten, wie der Streit
um die verschiedenen Kandidaten, unter denen Tirpitz und Bülow hervor-
ragten, vom Parteistandpunkt geführt wurde und die Volksstimmung weiter
zerriß. Die Überheblichkeit der politischen Reichsleitung gegen die Presse,
die zu Beginn des Krieges zu beobachten war, hatte einer planlosen
Furcht und Abhängigkeit Platz gemacht.
Der letzten Endes dem Verantwortlichkeitsgefühl des Reichstags ent-
springende Entschluß zur Tat fand seine Lösung in der Mehrheitsbildung,
diese ihr Ziel in der Friedensresolution. Diese Lösung lief derjenigen zu-
wider, die der Kriegführung nottat. Sie bedeutete das Ende der Re-
gierungsgewalt und an ihrer Stelle die Einführung der Parteiherrschaft
mit allen ihren für die Stimmung in Volk und Heer vernichtenden Folgen.
Die Friedensresolution war nicht aus der Volksstimmung heraus ent-
standen, Regierung und Reichstag waren mit ihr durch den Abgeordneten
Erzberger überrascht worden. Die Abgeordneten, welche sich ihr anschlossen,
hatten die Zustimmung ihrer Wähler zunächst nicht hinter sich. Sie mußten
erst daran gehen, sie hinter sich zu bringen, indem sie ihnen klarmachten,
daß der Unterseebootkrieg versagt habe und daß der Krieg nicht zu ge-
winnen sei. Dies war um so verhängnisvoller, als eine Friedensresolution
zwar gefaßt wurde, aber nicht die geringste Aussicht auf Friedensneigung bei
unseren Feinden bestand. Hoffentlich wird darüber noch einmal Klarheit
herbeigeführt werden, auf welchen Grundlagen der Abgeordnete Erzberger,
der mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine Art politischen Nach-
richtendienstes betrieb, die Auffassung aufbaute, der Feind sei ohne mili-
tärische Entscheidung einem Frieden geneigt. Das Gegenteil war die
Folge. Der Kampfwille und die Siegeszuversicht des Feindes erhielten
durch diese Vorgänge, die ihm durch die Presse und Nachrichtendienst be-
kannt wurden, einen mächtigen Auftrieb. Damit wurde der Krieg ver-
längert, also das Gegenteil dessen erreicht, was erreicht werden sollte. Dem
Heer, dessen innere Kraft mit seiner und der Heimat Siegeszuversicht ge-
brochen wurde, wurden neue Aufgaben auferlegt. Die Absicht der Be-
hörden und der O. H. L., die innere Widerstandskraft von Volk und Heer
durch den vaterländischen Unterricht zum Endkampf aufzurufen, war durch-
kreuzt.
Die Friedensresolution war das persönliche Werk des Abgeordneten
Erzberger. Wer sich des allgemeinen Urteils erinnert, das bis
in die Kreise seiner engsten Parteifreunde hinein über ihn herrschte, wird
nicht verstehen, wie er zu diesem Einfluß gelangen konnte. Mancher, der
seiner Üüberredungskunst erlegen war, hat sich in seiner Gefolgschaft nie wohl
gefühlt. Es ist kein ehrendes Zeichen für die Rolle, die der Deutsche Reichs-