Full text: Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg.

214 Die Oberste Heeresleitung. 
  
bildung. Der Reichstag bestand nur aus Parteimännern. Als der Ver- 
nichtungswille des Feindes endlich erkannt war und zur Abwehr der Ruf 
nach einem Diktator in weiten Kreisen laut wurde, war es zu spät. Die 
Diktatur wurde vom Feinde selbst übernommen. 
Der Generalfeldmarschall besaß genügendes Vertrauen, diktatorische 
Gewalt auch zu verlangen. Aber ihn hinderte hieran sein tiefes mon- 
archisches Gefühl. 
Seiner Moajestät dem Kaiser, der verfassungsgemäß die oberste Gewalt 
auszuüben hatte, war es von der Volksstimme als ein Verdienst an- 
gerechnet worden, daß er sich seit Beginn des Krieges von jedem persön- 
lichen Hervortreten fernhielt. Die Entscheidungen sind ihm darum nicht 
erspart geblieben. Sie wurden aber um so schwerer und schlugen immer 
mehr in diese oder jene Richtung, je mehr die nächsten verantwortlichen 
Gewalten voneinander Abstand gewonnen hatten. Was ihm zu Anfang 
des Krieges als Verdienst und Selbstüberwindung nachgerühmt wurde, ist 
ihm später und jetzt als Unfähigkeit und Schwäche vorgeworfen. Mein 
Arbeitsgebiet fand sein lebhaftes Interesse. Die Ehre, die er mir erwies, 
ließ mich in ihm einen Herrscher reinsten Wollens und Lebens erkennen. 
Dabei gewann ich aber den Eindruck, daß er über die innerpolitischen Ver- 
hältnisse wenig unterrichtet war und die Stellung der Regierung für stärker 
hielt, als sie tatsächlich geworden war. Es fehlte auch ihm nicht an Ge- 
legenheit, mit Persönlichkeiten der Presse und des öffentlichen Lebens zu- 
sammenzukommen. Aber es soll diesen dann oft an der notwendigen Un- 
befangenheit und Offenheit gemangelt haben. Jeder trug wohl, ebenso 
wie wir Offiziere, Bedenken, seinen verantwortlichen Ratgebern vorzu- 
greifen. 
Der Kronprinz sah die Dinge deutlicher. Als Armeeführer kam er 
viel mit der Truppe und Offizieren aller Grade und Berufsstände zu- 
sammen, war auch nur von Offizieren dauernd umgeben. Dazu kam eine 
erfrischende Entschlußfähigkeit, sich zu unterrichten. Allerdings war die 
Auswahl, an die er sich wandte, nicht immer glücklich, und dementsprechend 
seine Offenheit nicht immer angebracht. Sein jugendliches Temperament 
ließ ihn die Dinge leicht nach augenblicklichen Eindrücken beurteilen und 
ihm die Lösung mancher mit vielen Schwierigkeiten belasteten Frage 
leichter erscheinen, als sie tatsächlich war. Die vielfachen und vielseitigen 
Besucher seines Hauptquartiers vermittelten ihm manchen unmittelbaren 
Eindruck. Er freute sich immer, wenn sich ihm eine derartige Gelegenheit 
bot, und warf manches vorbereitete Programm über den Haufen, wenn 
der Gegenstand sein besonderes Interesse fand. 
Zum Rüstzeug derer, die den Zusammenbruch auf eine Überspannung 
unserer Volkskraft zurückführen wollen, gehört die Behauptung, die Oberste
	        
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