216 Die Oberste Heeresleitung.
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Volke und Heer herrschende Stimmung unterrichtet gewesen sei, hält also
vor der geschichtlichen Wahrheit nicht stand. Auch trifft die Auffassung
nicht zu, sie habe die Stimmung falsch eingeschätzt oder bewertet. Bei den
Besprechungen mit den Leitern des vaterländischen Unterrichts war es
der Vertreter der Obersten Heeresleitung, der davor warnte, die Anzeichen
sinkender Kampfstimmung zu unterschätzen und im Kampfe um sie nach-
zulassen. Die Erkenntnis von der trostlosen Lage im Innern trug schließlich
auch wesentlich zu dem Entschluß, den Kampf aufzugeben, bei.
Als Träger des Pessimismus durfte die O. H. L. sich allerdings nicht
hergeben. Dem feindlichen Kampfwillen stand nur noch ihre Festigkeit
entgegen. Das Wort von Clausewitz am Anfang meiner Betrachtung, mit
dem dieser bei Ergründung der Natur des Krieges die moralischen Pflichten
des Führers kennzeichnet, ist in einer Zeit geschrieben, als die Kriege nur
militärisch geführt und entschieden wurden. In diesem Kriege mußte das
Wort auch von den Führern des Volkes betätigt werden, wenn diese die
Natur des Krieges begriffen hatten. Sie brauchten nur auf den Feind
sehen, um die Wahrheit dieses Wortes zu erkennen.
Wir verfügten aber über keinen Führer des Volkes. An Stelle eines
solchen hatten sich nur Führer der Parteien der Gewalt über das Volk be-
mächtigt. Gegen den Feind führte nur noch die Oberste Heeresleitung.
Deshalb ruhte die Aufgabe, die Clausewitz umschreibt, allein auf ihr. Die
politischen Führer sprachen vom Völkerbund und beseitigten damit den
kriegerischen Geist, anstatt ihn im Kriege zu pflegen und zu fördern. Da-
mit führten sie den Dolchstoß gegen den Rücken des Heeres, dem ein eng-
lischer General den Sieg über Deutschland zugeschrieben hat. Der Wunsch
nach Frieden ist ebenso alt wie der Krieg und besteht auch bei jedem ein-
zelnen Krieg von Anfang an. Der Kampf geht um den Frieden, und er
ging besonders für uns in diesem Kriege um ihn, nachdem der Feind uns
den Frieden genommen und die Zerstörung unserer friedlichen Entwicklung
sein Kriegsziel war. Er wollte sich mit uns nicht verständigen, er wollte
uns zwingen. Deshalb mußten wir kämpfen.
Es wird unternommen, die Ansicht zu verbreiten, die Oberste Heeres-
leitung sei gegen jede Verständigung gewesen. Weder General v. Falken-
hayn noch General Ludendorff haben diese Ansicht gehabt. General Luden-
dorff hat sich trotz der Steigerung in der Energie der Kriegführung, für
die er eintrat, niemals gegen die verschiedenen Versuche, einen Frieden
herbeizuführen, ausgesprochen. Auf dem Wege über einen Großindustriel-
len trat, ich glaube, es war Ende 1917, der aus neutraler Vermittlung
stammende Vorschlag an mich heran, General Ludendorff möge persönlich
durch eine Zusammenkunft im neutralen Ausland eine Besprechung mit
der englischen Heeresleitung herbeiführen. So außergewöhnlich der Vor-