Der Nachrichtendienst der Obersten Heeresleitung. 15
Die Mitteilungen eines halbamtlichen Nachrichtendienstes, wie er aus
gelegentlichen Mitteilungen des Abgeordneten Erzberger im ersten Teil
des Krieges hervorging, hatten nur einen bedingten Wert, da seine Grund-
lagen und Grundsätze nicht bekannt waren.
Über Persönlichkeiten, die als unzuverlässig oder als im feindlichen Sold
stehend erkannt waren, wurde eine für alle Zweige des Nachrichtendienstes
gemeinsame Liste geführt, deren Auskunft vor der Verwendung eines jeden
neuen Vertrauensmannes einzuholen war, wenn nicht ein eigenes, zuver-
lässiges Urteil vorlag. In der beständigen Ausdehnung des Nachrichten-
dienstes in seinen Quellengebieten lag die Gefahr einer Überproduktion,
die den verarbeitenden Stellen die Übersicht erschweren und einen Massen-
betrieb herbeiführen konnte, der alle Gefahren für die Zuverlässigkeit be-
günstigte. Deshalb wurde auf eine dauernde Sichtung gehalten.
Trotz unzureichender Kriegsvorbereitung und trotz der vom Feinde
und den Verhältnissen geschaffenen Hindernisse gelang es, einen ausreichen-
den und vor allem möglichst zuverlässigen Nachrichtendienst zu schaffen.
Die Erfolge traten zwar nur auf rein militärischem Gebiet zutage.
Dem Feinde ist in keinem Falle eine Überraschung der O. H. L. geglückt.
An dem Erfolg auf dem russischen Kriegsschauplatz ist hauptsächlich der
Nachrichtendienst der Front beteiligt. Sonst verteilt er sich gleich-
mäßig auf alle Zweige des Nachrichtendienstes. Der Anfangserfolg
der Brussilow-Offensive im Osten und der Erfolg des Angriffs der
Franzosen bei Villers-Cotterets am 18. Juli 1918 ist in der Offentlichkeit
zu Unrecht auf eine Überraschung der Führung zurückgeführt worden.
Auch die späteren feindlichen Angriffe bis zum 31. August 1918 waren
rechtzeitig erkannt. Nach diesem Zeitpunkt blieben die Ereignisse im Fluß,
trat der Nachrichtendienst in seiner Bedeutung zurück.
Dieser Feststellung gegenüber ist die Frage berechtigt, wie dann dem
Feind offensichtliche, wenn auch immer bald aufgefangene Überraschungen
überhaupt gelingen konnten. Die Nachrichten von einem so ausgedehnten
Kriegsschauplatz, wie wir ihn zu beobachten hatten, ergeben in den selten-
sten Fällen ein völlig auf eine einzige Absicht des Gegners beschränktes
Bild. Es muß nur verlangt werden, daß die Mehrzahl der Nachrichten, be-
sanders die aus bewährten Quellen, die tatsächlich eintretende Handlung des
Feindes rechtzeitig und mit Bestimmtheit melden. Dies war durchweg der
Fall. Dennoch blieben auch andere Nachrichten glaubhaft und ihre Aus-
führung möglich, bis das Eintreten der Ereignisse den letzten Schleier fort-
zog. Die oberste Führung konnte deshalb in den seltensten Fällen nur mit
einer Möglichkeit rechnen und ihre Gegenmaßnahmen auf sie allein ein-
stellen. Aber selbst in den Fällen, wo sie es konnte, blieben Zeitpunkt und