72 Der Pressedienst der Obersten Heeresleitung.
Die Verhältnisse gaben ihm schnell zunehmende Bedeutung. Schon
im August 1914 ließen Lüttich, Namur, Antwerpen die feindlichen Lügen-
nachrichten aufblühen, die Vorgänge in Löwen und an anderen Orten
Belgiens entfesselten die Verleumdung der deutschen Kriegführung. Das
Vordringen der Russen im Osten und der Rückschlag im Westen belasteten
die öffentliche Meinung ganz außerordentlich. Die Kritik an der Krieg-
führung setzte ein, unterstützt durch allerlei unbegründete Schauergerüchte
und die Bluffnachrichten der Gegner. Die von ihnen gleichzeitig be-
absichtigte Wirkung auf die Neutralen wurde erkennbar. Die Gesellschafts-
reisen neutraler Pressevertreter an die Fronten begannen. Ende Sep-
tember bereits setzte die planmäßige Hetze der englischen Presse gegen den
Kaiser ein. Im Rovember schon begannen die Flaumacher ihr Werk.
Seit dem Dezember warfen die revolutionären Strömungen in Rußland
ihre Schatten bis nach Deutschland hinein. Mit dem Anfang des Jahres-.
1915 tauchten Friedensgerüchte ohne jede Grundlage auf. Im Gegenteil
war eine lange Dauer des Krieges zur Gewißheit und die äußerste Kraft-
anstrengung auf unserer Seite zur Notwendigkeit geworden. Die zwischen
Siegesjubel und Verzagtheit schwankende Nervosität im Volke stieg bald
sehr hoch. Mit Sorge sah die HO. H. L. diese Entwicklung. Die Reichs-
regierung, damals durch den Reichskanzler und den Staatssekretär des
Auswärtigen Amts fast ununterbrochen im Gr. H. Qu. vertreten und in
ständiger persönlicher Berührung mit dem Chef des Generalstabes, tat
nichts, was den Generalstab auf diesem Gebiet von der Verantwortung
für den Ausgang des Krieges entlasten konnte. Sie schuf nur Anfang
Oktober die Zentralstelle für Auslandsdienst. Die Stimmung im eigenen
Volk wurde nicht gebührend bewertet. Zum ersten Male trat die verhäng-
nisvolle Beschränkung des politischen Pressedienstes auf die Presseabteilung
des Auswärtigen Amts und die allein ausschlaggebende Rücksichtnahme
auf das Ausland in die Erscheinung. Es blieb dem Generalstab überlassen,
sich mit der Stellungnahme des deutschen Volkes zum Kriege abzufinden.
Die Folgen zeigten sich bald. Presse, Politiker, vaterländische Ver-
einigungen und Patrioten wandten sich um Auskunft und Rat, die sie bei
politischen Behörden nicht fanden, an die militärischen Stellen, diese an die
Presseabteilung des stellvertretenden Generalstabs, an die die Fragenden
in immer größerem Umfang auch unmittelbar verwiesen wurden. Die
Rolle, die damit dem Pressedienst der O. H. L. zugewiesen wurde, ging
sehr bald über den ihm ursprünglich zugewiesenen Rahmen hinaus. Er
konnte sich ihr nicht entziehen, wollte er nicht gleichfalls die Dinge treiben
lassen.
Major Deutelmoser stand mit großer Ruhe und Klugheit auf seinem
Posten. Er war nicht absolut Soldat und besaß für einen solchen eine