Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

2 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. s1. 
  
ungen über Wesen und Aufgabe des Staates konnte der Gedanke friedlicher 
Gemeinschaft mit anderen Staaten als des Mittels notwendiger Ergänzung 
der eigenen Persönlichkeit im Bereich des individuellen wie des sozialen 
Daseins nicht zur Geltung kommen. Dieser Zustand der Selbstgenügsamkeit 
und Isolierung konnte nur so lange andauern, als das nationale Leben auf 
allen Gebieten des materiellen und geistigen Daseins die Bedingungen der Be- 
friedigung betreffender Interessen zu bieten vermochte. Jener Selbstgenügsam- 
keit war aber bei allen einer höheren Entwicklung entgegenstrebenden Völkern 
in dem engherzigen nationalen Prinzip ihres politischen Daseins eine natürliche 
Grenze gezogen, die sich auf den höheren Stufen der Entwicklung des nationalen 
Lebens sofort von selbst geltend machen mußte. In dem Maße, als die Lebensver- 
hältnisse der einzelnen Nationen eine absolute nationale bez. territoriale Ab- 
schließung nicht mehr vertragen, wird allmählich der Gedanke in das nationale 
Bewußtsein aufgenommen, daß die Koexistenz der Staaten und Völker nicht 
nur Konflikte aufweist, sondern auch friedliche Beziehungen mit sich bringt, 
deren Pflege anfänglich aus dem Gesichtspunkt des Nutzens stattfinden mag, 
aber allmählich zu der Überzeuguug führt, daß die konstante Erhaltung 
solcher nützlicher Beziehungen auf eine dauernde Grundlage hinweist, 
auf welcher jene Pflege ihre sicherste Förderung finden kann. Die Bildung 
dieser Überzeugung ist von der Erkenntnis begleitet, daß ein solcher Zustand 
wesentlich an die Voraussetzung der gegenseitigen Anerkennung der gleichen 
Rechtssubjektivität und sohin des gleichen Rechts der im Verkehr stehenden 
Völker geknüpft ist. Mögen daher immerhin in älterer Zeit (selbst bei feind- 
licher Berührung der Völker) unter dem Einfluß religiöser Anschauungen !) 
und dem Zwange der Notwendigkeit gewisse Anforderungen humaner Sitte 
sich Geltung verschafft haben, mögen auch mancherlei Verhältnisse durch 
Verträge?) ihre Regelung gefunden haben, so felılte es doch an jener not- 
wendigen Voraussetzung dauernden friedlichen und rechtlich gefestigten Ver- 
kehrs, nämlich der Anerkennung der rechtlichen Gleichbeit der Völker, die 
selbst wieder in letzter Reihe bestimmt ist durch die unbedingte (von der 
Angehörigkeit an ein bestimmtes Staatswesen, eine bestimmte Nation und 
1) Vgl. Laurent, Histoire du droit des gens I p. 37, 53, 104, 183, 302, 411, 435. 
2) So hatten die Römer mit unabhängigen Staaten mancherlei Verträge Friedens-, 
Freundschafts-, Allianz-, Hospitalitätsverträge — focdera acqua und non acqua — geschlossen. 
Vgl. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I S. 24; Mommsen, Abriß des römischen 
Staatsrechts S. 291 ff., der bezüglich der ewigen Bündnisverträge, von denen in dem nationalen 
Städtebund Latiums die römische Entwicklung ausgeht, darauf aufmerksam macht, daß sie nur 
nominell international sind, „da in der römischen Handhabung mit der Ewigkeit die Unab- 
hängigkeit rechtlich verknüpft ist, der also mit Rom verbündete Staat damit dem freien 
Vertragsrecht entsagt und in Wehrrecht beschränkt wird .... Ein Internationalrecht in dem 
heutigen Sinne, dauernde Festsetzungen nicht kriegsrechtlicher Art zwischen zwei Staaten 
formell gleicher Souveränität hat die römische Staatsordnung nicht entwickelt“ — Vgl. auch 
Barbeyrac, Histoire des anciens trait@s depuis les temps les plus reeulcs jusqu’A P’Em- 
pereur Charlemagne (p. 1—474), der die verschiedenen Gegenstände der Völkerverträge in 
Altertum auf Grund eines reichen geschichtlichen Materials nachweist.e — Dieses Material 
fand in ncuerer Zeit namentlich durch die Erforschung der Inskriptionen eine wesentliche 
Vermehrung. 
  
 
	        
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