332 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. $ 104
des Seeraubes kann nur durch das Medium einzelstaatlicher Jurisdiktion auf
Grund einzelstaatlicher Strafsanktion erfolgen. Sache der Einzelstaaten ist
es, entsprechende Strafbestimmungen gegen Seeraub zu erlassen und durch
betreffende Kompetenzvorschriften für die gleichmäßige Anwendung jener Straf-
bestimmungen zu sorgen. Die Strafe des Seeraubes kann nur in einzel-
staatlichen Strafsanktionen begründet sein. Demgemäß sind Kriegsschiffe regel-
mäßig nur zu seepolizeilichem Vorgehen gegen Schiffe, die des Seeraubes
verdächtig sind, berechtigt; Tötungen in Ausübung des Verteidigungsrechts
sind nur durch dieses legitimiert; das Kriegsschiff hat nur das Recht, das
verdächtige bezw. auf der Verübung von Seeraub betretene Schiff auf offener
See anzuhalten, durchzusuchen und die Seeräuber dem kompetenten Gerichte
seines Staates auszuliefern.
II. Das völkerrechtliche Verbot des Seeraubes knüpft an Vorgänge auf
hoher See an, die sich als rechtswidrige !) gewaltsame Angriffe gegen Kriegs-
oder Privatschiffe darstellen, wobei der Endzweck des Angriffs die Wegnahme
fremden Gutes mit Anwendung von Gewalt gegen Personen bildet. Die Legal-
definitionen des Seeraubes in den einzelstaatlichen Strafgesetzgebungen können
von dem völkerrechtlichen Begriffe dieses Delikts in einzelnen Merkmalen
differieren, womit in der Praxis Inkonvenienzen verknüpft sein können. ?:
Konventionelle Feststellungen des Begriffes kommen auch in Verträgen vor.
III. Das Einschreiten der Kriegsschiffe gegen Seeräuber auf hoher See
beschränkt sich nicht auf den Schutz der Handelsmarine der eigenen Nationalität;
die Kriegsschiffe aller Nationen sind vielmehr berufen, zum Schutze des hier
in Frage stehenden gemeinsamen Interesses ohne Rücksicht auf die Nationalität
des Angegriffenen von ihren Vollmachten Gebrauch zu machen. Das Einschreiten
eines Kriegsschiffes gegen Seeraub dient mittelbar den Interessen jeder an dem
Seeverkehr beteiligten Nation. Dies legt den Gedanken nahe, daß in Fällen
der Verfolgung eines Seeräubers in Seegebiete, die einem souveränen Staate
unterworfen sind, die Konsequenzen dieser Herrschaft eine Modifikation erfahren
müssen, wenn nicht in Verträgen der oben angeführten Art für die Verfolgung
durch entsprechende Konzessionen schon vorgesorgt ist. ?)
IV. Die Voraussetzung des Einschreitens gegen ein Schiff ist der dringende
Verdacht des Seeraubes. Handelt es sich um ein Schiff, welches die Flagge
der Nationalität des Kriegsschiffes führt, so stehen dem weiteren Vorgehen
des letzteren keine Hindernisse entgegen. Fährt das Schiff unter fremder
Flagge, so wird im Zusammenhange mit dem Satze, daß ein auf frischer Tat
des Seeraubes betretenes Schiff ohne Rücksicht auf seine Flagge sofort angehalten
und überwältigt werden kann, allgemein angenommen, daß auch bei dringendem
1) Die Rechtswidrigkeit liegt im Mangel staatlicher Ermächtigung, die den Kaperschiffen
und den zur Vornahme von Repressalienhandlungen autorisierten Schiffen zur Seite steht.
2) Vgl. Gareis, HH II S. 572 u. 574.
3) Z. B. Art. 30 des Vertrages des deutschen Zollvereins mit China vom 2. September
1561. Vorläufige Instruktion für die Kommandanten deutscher Kriegsschiffe in Betreff der
Unterdrückung der Seeräuberei in den chinesischen Gewässern, vom 20. August 1877 bei
Perels, Intern. Scer. 311.