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widrig handelnden Staat Aufhebung der Rechtswidrigkeit, Ersatz usw. zu fordern;
zur Wahrung seiner Interessen stehen ihm nur die in seiner nationalen Rechts-
ordnung überhaupt in Aussicht genommenen rechtlichen Behelfe zur Verfügung.
Ob ein solcher Tatbestand völkerrechtliche Bedeutung im konkreten Falle
wirklich gewinnt, hängt durchaus von dem Ermessen des Staates ab, dem der
Verletzte angehört; ob dem Verletzten der erwünschte Schutz seiner Interessen
wirklich zu Teil wird, ist in rechtlicher und praktischer Beziehung eine innere
Angelegenheit des betreffenden Staates. — Das hier in Frage stehende Rechts-
verhältnis ist also ein Verhältnis von Staat zu Staat; der berechtigte Staat
fordert, daß seine Angehörigen dem Vertrage gemäß behandelt werden; der
verpflichtete Staat hat durch Erlaß der zur Ausführung des Vertragsinhaltes
erforderlichen innerstaatlichen Normen (Befolgungsbefehl) und die Ausführung
dieser Normen dafür zu sorgen, daß die Ausländer dem Vertrage gemäß behandelt
werden.') Auf Grund dieser staatsrechtlichen Normen erwächst den Ausländern
ein staatsrechtlicher, nicht völkerrechtlicher Anspruch.
Wie gestaltet sich die rechtliche Stellung des Individuums, wenn es sich
um Verhältnisse handelt, die nicht wie die eben berührten eine konventionelle
Regelung gefunden haben? Worauf beruht die heute von allen zivilisierten
Staaten anerkannte Geltung des Individuums als Rechtssubjekt? Die sittlichen
Anschauungen zivilisierter Völker verknüpfen innerhalb der nationalen Rechts-
ordnung mit der menschlichen Eigenschaft als solcher die Geltung des Indi-
viduums als Rechtssubjekt. Dieses Verhalten beobachten die Kulturstaaten
auch gegenüber den Angehörigen anderer Staaten, denn in dem Bereich der
internationalen Gemeinschaft, die doch auf der Anerkennung der Rechts-
subjektivität der einzelnen Staaten beruht, läge ein Widerspruch darin, wenn
die juristische Person eines auswärtigen Staates anerkannt, dagegen den
menschlichen Individuen, um deren willen der Staat da ist, und durch die er
allein praktisch als Person sich betätigen kann, diese Anerkennung versagt
wird. Aber auch hier entsteht für das einzelne Individuum nicht ein völker-
rechtlicher Anspruch auf Geltung als Rechtssubjekt, denn jener Vorgang,
der in der Geschichte des Völkerlebens schließlich zu der heutigen Stellung
der Fremden geführt hat, vollzog sich im engsten Zusammenhang mit der
Entwicklung der Beziehungen der Staaten untereinander und mit der Vor-
aussetzung der Angehörigkeit des Individuums an einen Staat, der auch seiner-
seits bereit ist, Fremden die gleiche Anerkennung ihrer Rechtssubjektivität
nicht zu versagen. Es gewährt der einzelne Staat in seiner nationalen
Rechtsordnung dem Fremden Anerkennung der Persönlichkeit im Hinblick auf
die Forderung der Gemeinschaft mit anderen Staaten, also in Erfüllung einer
völkerrechtlichen Norm; für den Fremden erwächst daher nur ein staats-
rechtlicher Anspruch durch die nationale Rechtsordnung des Staates, in der
jene völkerrechtliche Norm zu praktischer Geltung kommt.2) Da es sich auch
hier in völkerrechtlicher Beziehung immer nur um ein Verhältnis von Staat zu
1) Der Anspruch des berechtigten Staates ist sohin auf Erlaß und Ausführung des
staatsrechtlichen Befolgungsbefehls gerichtet (Seligmann a. a. O.).
2) Heilborn, Systom S. 73.