348 Sechstes Buch. Rechtliche Stellung der Individuen. $ 110.
insolange unverändert, als sie nicht durch einen rechtlich maßgebenden Vor-
gang aufgelöst wird bezw. ipso jure erlischt. Die Wirkungen der Staats-
angehörigkeit äußern sich daher auch innerhalb der Verkehrsakte, welche der
Staatsgenosse vornimmt; innerhalb der Grenzen, welche das Völkerrecht der
Einzelstaatsgewalt zieht, bindet und verpflichtet diese (als Personalhoheit) den
Staatsangehörigen auch während seines Aufenthaltes im Ausland; anderseits
gewinnt die heimatliche Schutzgewalt gerade in derlei Verkehrsfällen am
häufigsten praktische Bedeutung.
Ausnahmsweise erstreckt sich der staatliche Schutz 1. auf die Schutz-
genossen (proteges); das sind Personen, die einem fremden Staate angehören.
aber auf Grund eines zwischen den beteiligten Staaten abgeschlossenen Ver-
trages entweder allgemein!) oder nur im Kriegsfalle den diplomatischen
Schutz eines Staates im Auslande genießen. Ersteres ist namentlich dann der
Fall, wenn ein kleiner Staat keine diplomatische Vertretung in einem anderen
Staate hat, in dessen Gebiet jedoch Angehörige seiner Nationalität sich auf-
halten. In dem letzteren Falle (des Ausbruchs eines Krieges) überträgt der
Kriegführende den Schutz seiner Staatsangehörigen im feindlichen Lande einem
neutralen Staat.
2. Den gleichen Schutz genießen die de facto-Untertanen (Schutz-
genossen im weiteren Sinne). Es sind dies Fremde, welchen der Staat per-
sönlich auf Grund eines speziellen Abkommens seinen Schutz im Auslande gewähırt.
In solcher Stellung befinden sich diejenigen Konsulats- und Gesandtschafts-
bediensteten, welche nicht die Staatsangehörigkeit des Absendestaates haben,
wie z.B. die bei den europäischen Konsulaten und Gesandschaften in der Türkei
und anderen orientalischen Staaten angestellten eingeborenen Dragomane,
Kawassen usw. Bezüglich der Ausübung der Schutzgewalt gegenüber derlei
Personen in Marokko wurde am 3. Juli 1880 zu Madrid ein Vertrag abge-
schlossen, der von Marokko, England, Deutschland, Osterreich-Ungarn, Belgien,
Frankreich, Italien, Portugal, Holland, Spanien, Schweden-Norwegen und den
Vereinigten Staaten unterzeichnet worden ist 2).
$110. Erwerb der Staatsangehörigkeit’). 1. Die primäre Quelle von
Konflikten ist die Verschiedenheit der Gesetzgebungen über die Begründung
{) In dem deutsch-österr. Handels- u. Zollvertrag vom 6. Dez. 18591 (RGBIl S.$92 S. 3)
haben sich die Kontrahenten verpflichtet, ihre Konsuln im Auslande anzuweisen, den An-
gehörigen des anderen vertragschließenden Teiles, sofern letzterer an dem be-
treffenden Platze durch einen Konsul nicht vertreten ist, Schutz- und
Beistand in derselben Art und gegen nicht höhere Gebühren wie den eigenen Angehörigen
zu gewähren. — Deutsche Schutzgenossen sind ferner die Staatsangehörigen der Schweiz
und Luxemburg.
2) NRG (2. Ser.) VI, 624. Dazu Pohl A. f. ö. R. 1907, 274 ff. Bezüglich der „de
facto- Untertanen“ des Deutschen Reiches s. Zorn, Konsulargesetzgebung 265 ff., 308 ff.,
ferner Anordnung des Reichskanzlers v.27. Oktober 1900. Laband, H, 210.
3) v. Martitz, Das Recht der Staatsaugehörigkeit im internationalen Verkehr (1855);
Heffter Geffcken $ 59; Stoerk, HH Il, 592 ff.; Gareis $ 55; v. Liszt, $ 11; Bon-
fils p. 417 sq.; Despagnet, Cours p. 334 sq.; Pradier-Foderc, Ill p. 1646 sq.; Rivier,
Principes I, 303 sq.; de Lapradelle, De la nationalit& d’origine (1893); Borney, La natio-