$ 111. Erwerb der Staatsangcehörigkeit. Fortsetzung. 357
länders ipso jure die französische Staatsangehörigkeit erwerben. Mit dem
Prinzip der Individualität der Naturalisation hängt auch die französische Praxis
zusammen, der zufolge ein Minderjähriger selbst nicht mit Zustimmung seines
Gewalthabers (aber auch nicht der Emanzipierte) seine Staatsangehörigkeit auf-
geben kann. — Die Wirkungen der Naturalisation sind in den einzelnen Staaten
verschieden normiert; nicht überall wird der Naturalisierte dem eingeborenen
Staatsbürger gleichgestellt; dalıer genießt der Naturalisierte nicht schon ipso
jure auch die sogenannten staatsbürgerlichen Rechte. Deutschland, Österreich-
Ungarn und Frankreich gewähren dem naturalisierten Ausländer sofort volle
Gleichberechtigung. In einigen Staaten unterscheidet man noch Grade der
Naturalisation. In England beruht dieser Unterschied darauf, ob die Natu-
ralisation durch einen Akt der Legislative oder der Exekutive erfolgt ist. In
Belgien und Italien unterscheidet man eine große und kleine Naturalisation; nur
mit der ersteren ist der volle Genuß der staatsbürgerlichen Rechte verbunden.
5. Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Amtsernennung.
Nach deutschem und norwegischem Recht erwirbt ein Ausländer
durch öffentliche Anstellung im Inlande die Staatsangehörigkeit.
Nach deutschem Recht tritt unter bestimmten Voraussetzungen die Anstellungs-
urkunde an die Stelle der Naturalisation (bezw. der Aufnahmeurkunde). Die
Wirksamkeit der Anstellung betrifft auch die Naturalisation. Letztere Wirkung
kann aber durch einen in der Ausstellungsurkunde ausgesprochenen Vorbehalt
ausgeschlossen werden. Ausländer, die im deutschen Reichsdienst angestellt
werden, aber ihren amtlichen Wohnsitz im Auslande behalten, erwerben die
deutsche Staatsangehörigkeit nicht; sie haben jedoch einen Anspruch auf Natura-
lisation gegenüber jedem deutschen Einzelstaat, wenn sie ein Einkommen aus der
Reichskasse beziehen. Derlei Amtsernennungen führen bezüglich der Untertanen
von Staaten, die den freiwilligen Erwerb fremder Nationalität und die Anstellung
im Auslande nicht als Gründe des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit an-
erkennen, zu Konflikten mehrfacher Staatsangehörigkeit. (Rußland, Venezuela.)
6. Erwerb der Staatsangehörigkeitdurch Reintegration. Die
Gesetzgebungen kennen Fälle freiwilliger und unfreiwilliger Reintegration der
durch Expatriation erloschenen Staatsangehörigkeit. Die Reintegration fungiert
als Korrektur der Heimatlosigkeit, wenn das Individuum seine frühere Staats-
angehörigkeit verloren und keine neue erworben hat. So kennt das deutsche
Recht eine Wiederverleihung der Staatsangehörigkeit an Personen, welche früher
deutsche Staatsangehörige waren und durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande
ihre Staatsangehörigkeit verloren haben. Sind diese Personen nicht in einen
anderen Staatsverband eingetreten, so kann ihnen auf Ansuchen die Staatsange-
hörigkeit in ihrem früheren Heimatsstaate (nicht in einem anderen deutschen
Einzelstaate) wieder verliehen werden, ohne daß sie sich dort niederlassen.
7. Durch Option für das Land der Geburt nach erlangter
Großjährigkeit. Mehrere Gesetzgebungen gestehen den im Inlande ge-
borenen Kindern von Ausländern, die jure sanguinis der Staatsangehörigkeit
des Vaters folgen, das Recht zu, nach erlangter Großjährigkeit die Staats-
angehörigkeit des Geburtslandes durch die Erklärung, in dem Lande wohnen