Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

8 199. Form und Inhalt der Friedensverträge. 543 
  
schränken!) (einfache oder reine Friedensverträge — paix pures et simples) 
und solche, welche auch anderweite Bestimmungen enthalten, die sich auf die 
rechtlichen Wirkungen der durch den Ausgang des Krieges geschaffenen Tat- 
bestände beziehen; daneben pflegen in Friedensverträgen auch solche Angelegen- 
heiten eine Regelung zu finden, die weder mit dem Streitfall noch mit den durch 
den Krieg geschaffenen Tatsachen zusammenbängen, deren Regelung aber dem 
Sieger gerade unter den gegebenen Verhältnissen zweckmäßig erscheint. Auf 
diesem Wege erlangt der Friedensschluß eine über seinen nächsten Zweck 
mitunter weit hinausgreifende Bedeutung als Grundlage für eine durchgreifende 
Neugestaltung der Beziehungen der beiden Kontrahenten — so unter anderem 
auch in politischer Beziehung, wenn der Friedensschluß zur Begründung eines 
Bundesverhältnisses oder einer anderen politisch bedeutsamen Verbindung der 
beiden Staaten führt. Die einfachen Friedensverträge bilden heute die Aus- 
nahme; Friedensschlüsse enthalten vielmehr gewöhnlich außer der auf die Ein- 
stellung der Feindseligkeiten bezüglichen Bestimmung eine Reihe anderer Be- 
stimmungen, von denen einige regelmäßig bei jedem Friedensschluß wieder- 
kehren, andere dagegen zu dem eigentümlichen Inhalt bestimmter Friedens- 
verträge gehören. 
Den allgemeinen, regelmäßigen Bestimmungon der Friedensverträge entsprechen die 
mit dem Wesen des Friedensschlusses gegebenen allgemeinen, regelmäßigen Wirkungen.?) Wie 
bereits oben bemerkt worden ist, hört mit dem Friedensschluß jede kriegerische Aktion der 
Streitteile gegen einander auf. Sind in Folge der Unkenntnis des Friedensschlusses von ein- 
zelnen Truppenabteilungen Aktionen unternommen und Vorteile erreicht worden, so ist der 
status quo zur Zeit des Friedenschlusses wieder herzustellen. Mit dem Friedensschluß erlischt 
die Geltung des Kriegsrechts; es entfällt daher auch der rechtliche Titel zu Requisitionen 
und Kontributionen.°) Entscheidend für den Eintritt dieser Wirkungen ist die Unterzeichnung 
des Vertrages, nicht die Ratifikation. Unterbleibt die Ratifikation, so hat der Vertrag ledig- 
lich die Bedeutung eines Weaffenstillstands. Dagegen bleiben rite eingegangene Schuld- 
verbindlichkeiten — wenn nicht besondere Verabredungen getroffen werden — z. B. Loskauf- 
verschreibungen, Schuldverschreibnngen für Requisitionen usw. rechtlich gültig und wirksam.) 
Eine regelmäßige Bestimmung betrifft die Entlassung der Kriegsgefangenen, 
die mit Bedingungen verknüpft sein kann;°) insbesondere pflegt die Entlassung erst nach 
Berichtigung der von den Gefangenen kontrahierten Schulden ausgeführt zu werden. Der 
Vollzug der durch gemeine Delikte verwirkten Strafen wird durch den Friedensschluß nicht 
berührt; dagegen ist es bestritten, ob solche Kriegsgefangene, welche wegen Disziplinar- 
vergehen von den Kriegsgerichten verurteilt wurden, nach dem Friedensschluß zu entlassen 
seien.®) 
1) So enthält der Vertrag zwischen Serbien und Bulgarien vom 19. Februar/3. März 1886 
nur einen einzigen, den Friedenszustand wieder herstellenden Artikel. 
2) Vgl. v. Kirchenheim a. a. O. S. 804ff.; Rivier, Principes II p. 4öisq.; F. v. 
Martens II S. 543ff. 
3) Auch die Forderung der Rückstände solcher Leistungen entfällt. Ausdrücklich 
stipuliert z. B. in Art.2 des Hubertsburger Friedens 1763. Vgl. Heffter $ 180, v.Kirchen- 
heim a. a. O0. S. 805. 
4) Vgl. Rivier, Lehrb. 8. 448, Principes II p. 458. 
5) Vgl. Art. 10 des Frankfurter Friedens 1871. So ist z. B.;in Abs. 4 dieses Artikels 
bestimmt, daß 20000 Gefangene ohne Verzug nach Lyon dirigiert werden sollen unter der 
Bedingung, daß sie nach ihrer Organisierung sofort nach Algerien geschickt werden, um 
in dieser Kolonie zur Verwendung zu kommen. 
6) Vgl. darüber v. Kirchenheim a. a. O. $. 806, 3807. Preußen hatte im Kriege 1870 
 
	        
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