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Feinde, tiefer Schnee, wüthende Kälte rafften Krieger und Pferde
zu Tausenden hin. „Ein Bissen Brot oder Fleisch, ein Plätzchen
am Feuer im freien Felde wurde mit Geld bezahlt.“ Die Heeres-
straße glich einem schreckenerregenden Leichenwege, den krächzende
Krähen und heulende Hunde umschwärmten.
Ende November erreichte die fliehende und zusammengeschmolzene
Armee die Beresina, einen Nebenfluß des Dnieper. Dieser Fluß
mußte überschritten werden. Hätte ein russischer Anführer Napoleons
Feldherrntalent besessen, so wären hier die Franzosen bis auf den
letzten Mann aufgerieben worden.
Zunächst ließ Napoleon zwei Brücken über den Fluß schlagen,
die eine für das noch sehr bedeutende Fuhrwerk, die andere für die
Infanterie. Am 26. November konnte nur ein sehr kleiner Theil
den Fluß überschreiten, weil die Brücken erst spät fertig wurden. Bei
Anbruch des 27. eilten die Marschälle und Generäle, unter dem steten
Feuern der Russen zuerst über die Brücke. Eine starke Abtheilung
der Franzosen, unter ihnen auch die Sachsen, mußten den Uebergang
über die Brücke decken und dem feindlichen Feuer sich bloßstellen. So
mußte der kleine Rest von den schönen sächsischen Regimentern an der
Brücke zwei lange Tage, den 27. und 28. November, ausharren,
den Glücklichen, welche entkamen, zusehen und den Kugelregen der
russischen Geschütze ertragen.
„Der Rückzug über die Brücken geschah übrigens in schauderhafter
Unordnung. Jeder wollte zuerst hinüber; ein unbeschreibliches Gedränge
entstand; aller Gehorsam hörte auf; der Gemeine stieß den Offizier, der
Bruder den Bruder von der Brücke hinab ins Wasser, um nur Platz für sich
zu gewinnen. Artillerie, Bagage, Reiterei — Alles ging durch einander;
Hunderte wurden im Nu von den Wagen und Pferden erdrückt, oder von
den schmalen Brücken hinabgeworfen. Furchtbares Hilfeschreien, Klagegestöhn
und Getöse! Grausenvolles Blutbad, das die russischen Kanonen auf den
Brücken anrichteten! Endlich am 28. November, mittags, durften auch die
Sachsen ihre Stellung verlassen und über die Brücke gehen; aber die Brücke
ward zu früh abgetragen; viele geriethen noch in russische Gefangenschaft
oder fanden den traurigsten Tod. Ein ähnliches, grausenvolles Schauspiel
als diesen Uebergang findet man kaum irgendwo in der Kriegsgeschichte.“
Acht Tage noch weilte Napoleon bei seinem fast aufgeriebenen
Heere, dann eilte er über Warschau zunächst nach Dresden.
Es war den 14. Dezember nachts, als in Dresden ein schlecht
verwahrter Schlitten bei dem französischen Gesandten (Loß'sches
Palais auf der jetzigen Kreuzstraße neben der reformirten Kirche)
anhielt. Aus demselben stieg, in einen dichten Mantel gehüllt, ein
Mann, auf dessen Antlitz eine eisige Ruhe lagerte. Diese ungewöhn-
liche Erscheinung zur ungewöhnlichen Zeit war niemand anders, als
der Kaiser Napoleon. Am andern Tage bewillkommnete ihn unser
König, und abends 6 Uhr verließ der Kaiser Dresden, um nach Paris
zurückzueilen.