IV. Buch, I. Kapitel. 619
Arnold von Lübeck melden — nach Deutschland begeben hätte. Keine Quelle, außer
diesen beiden, weiß etwas von einer damaligen Anwesenheit Friedrichs in Süd-
bayern; zumal das Chronicon Reicherspergense, das alle Vorkommnisse in dieser
Gegend sorgfältig verzeichnet, würde ein so wichtiges Ereignis nicht unbemerkt haben
vorübergehen lassen. Der Einwurf von Prutz, daß Heinrich, da er dem Kaiser doch
nicht helfen wollte, gar nicht nach Chiavenna hätte zu kommen brauchen, ist belanglos,
da seinem Lehnsherrn eine verlangte Unterredung ohne zwingenden Grund ab-
schlagen ein offener Akt der Feindseligkeit und Empörung gewesen wäre; überdies,
wie können wir wissen, ob unter bestimmten Bedingungen, die zu erreichen er vorher
nicht verzweifelte, der Herzog sich nicht zur Hilfeleistung entschlossen hätte?
Daß speziell der Herzog die Belehnung mit der Reichsstadt Goslar gefordert,
der Kaiser dies zurückgewiesen habe, melden Otto von St. Blasien sowie die Mar-
bacher Annalen. Man hat dies angezweifelt; weshalb, ist nicht ersichtlich. Dieses
Verlangen nach einer reichen Stadt, im Mittelpunkte des ostsächsischen Bergbaues, auch
militärisch von großer Bedeutung, seitens Heinrichs des Löwen ist ein sehr natürliches.
Auch L. Weiland nimmt diesen Umstand als sicher begründet an (Hansische
Geschichtsblätter, 1884, S. 42).
Die übrigen Ausschmückungen der Zusammenkunft durch dramatische Vorgänge
haben eigentliche historische Bedeutung überbaupt nicht. Otto von St. Blasien
deutet die Selbstdemütigung des Kaisers vor Heinrich nur leise an: plus quam im-
Perialem decet maiestatem humiliter efflagita vit. Die spätere Geschichtsschreibung,
besonders die sächsische, ist um so geschäftiger gewesen, diese Lücke auszufüllen.
Arnold von Lübeck und die Lauterberger Chronik wissen von einem Fußfalle des
Kaisers zu berichten. Zwei andere demselben Lande angehörende Quellen, die
Bremer Annalen (M. G. Ss. XVII, 857) und die Sächsische Weltchronik, und ihnen
folgend die Braunschweigische Reimchronik (Leibniz, Script. Brunswic., III, 55)
sügen der Erzählung von dem Fußfall den frohlockenden Ausruf des herzoglichen
Truchsesses hinzu: „Herr, die Krone des Reiches lag schon zu Euern Füßen, dereinst
wird sie auch auf Euer Haupt gelangen!“ Ubrigens ist dieser Jordan eine historische
Persönlichkeit, die in den Jahren 1170—1175 häufig in der Umgebung Heinrichs des
Löwen erscheint (Origines Guclficae III. 524—531). Eine zweite Gestalt der Über-
lieferung findet sich bei dem recht unzuverlässigen Albert von Stade (M. G. Ss. XVI.
348), der sein Werk bald nach 1240 verfaßte, sowie bei seinen Ausschreibern (den
Ann. Bremenses (ibid. XVII, 857) und den Zusätzen „zur Lüneburger Chronik“
(Leibniz, a. a. O., II, 174). Auch hier wird des Fußfalles gedacht, dabei habe die
Kaiserin — die sich wirklich 1176 bei ihrem Gemahl in Italien befunden hat — aber
ihrem Gemahl zugerufen: „Stehe auf, Herr, und bleibe dieses Ereignisses eingedenk,
wie Gott seiner gedenken möge!“ Spätere Chronisten haben dann beide Erzählungen
miteinander verbunden.
Ubrigens wußte man von dem Fußfall des Kaisers auch außerhalb Sachsens.
Burchard von Ursperg, also ein Schwabe, berichtet ihn, und ebenso der Lothringer
Giselbert von Mons. Angedeutet scheint ihn ja auch Otto von St. Blasien zu haben.
Also ganz zu verwerfen ist diese Erzählung — abgesehen von den weiteren Aus-
schmückungen — doch nicht. Sie ist freilich von geringer Wichtigkeit.
Daß bei der Aussohnungsszene der Papst dem Kaiser den Fuß auf den Nacken
gesetzt und dabei ausgerufen habe: Super aspidem et basiliscum ambulabis et
conculcabis leonem et draconem, ist eine alberne Fabel, die Amalrich in der Vita
Alexandri (Muratori Scr. rer. It. III. 1, p. 374) den andern Quellen gegenüber
allein und noch dazu mit Unbestimmthecit (ut legitur) erzählt. Weder der Augenzeuge
Romuald noch der fanatisch päpstliche Augenzeuge Boso (Card. Arag.) wissen etwas
von einem so brutalen Akte des Papstes.
Der Bericht im Text über die Beendigung der Belagerung Demmins ist nach
den wichtigen, fast zeitgenössischen (1236) An. Pegav., p. 262 und dem noch wichtigeren,
in allen Heinrich den Löwen betreffenden Angelegenheiten stets gut unterrichteten
Arnoldus Lubicensis II. 18. — Saxo Grammatieus (ed. Stephani p. 1643) p. 359
behauptet dagegen: en re effectum est, ut (Henricus], acta acstute, obsidionem
inglorius solveret. Aber die Angaben der beiden vorgenannten Quellen sind diesem
so unbestimmten Ausdrucke des Saxo — der sogar insofern einige Richtigkeit hat,
b