620 Kritische Erörterungen zum vierten Buche.
als eine Erstürmung der Feste keinenfalls erfolgt ist — sicher vorzuziehen. über-
haupt ist die ganze Erzählung der Belagerung bei Saxo sehr verwirrt 1p. 359f.),
wie denn z. B. die von Heinrich veranstaltete Ableitung der die Mauern umfließenden
Peene den Belagerten nützlich gewesen sein soll!
Die Sächsische Weltchronik p. 230 und die ihr entlehnenden Anon. Sazro und
Chr. Brunsv. pict. sprechen nur von 300 Gefangenen in der Schlacht am Brocken:
die ausführlichen und zuverlässigen An. Pegav. p. 262 dagegen von 400. — Das
Chr. Brunsv. pict. sagt zwar: unde greue Symon uon Tekelenborch bleyff dar dot;
ich trage indes kein Bedenken, der genaueren und glaubwürdigeren Weltchronik
den Vorzug zu geben, die berichtet: unde uiengen greuen Simone uon Tekeneburch.
V erispriht hierin auch das Chr. rhythm. Brunsvio. p. 57. — Bgl. Arnold.
ubic. II, 20.
II.
Die Geschichte des Prozesses gegen Heinrich den Löwen während der Jahre
1178—1181 hat zu zahlreichen kritischen Abhandlungen Anlaß gegeben, in denen
sich der Scharfsinn und die Kombinationsgabe freien Spielraum gelassen haben und
zu den verschiedensten Ergebnissen gekommen sind. Eben diese Unsichetheit der
wissenschaftlichen Resultate erfordert eine erneute Untersuchung, die freilich nur die
wichtigsten jener bisherigen Betrachtungen berücksichtigen kann.
1.
Zunächst, weshalb wurde Heinrich angeklagt?
Es ist keine Frage, daß Heinrich den Kaiser im Jahre 1176 trotz dessen nachdrück-
lichem Gesuche ohne Hilfe gelassen hat (Güterbock, Der Prozeß Heinrichs d. L.
S. 29 ff.). Zu solcher Hilfeleistung war Heinrich aber rechtlich verpflichtet, auch wenn
die Fürsten nicht — wie das die Ann. S. Georglii. M. G. Ss. XVII. 296) ganz ver-
einzelt behaupten — im Jahre 1175 eine neue Heerfahrt beschworen haben. (Wei-
land, Forsch. z. Deutsch. Gesch. VII. 128 f., 157, 169). Freilich weisen Ficker
(Forsch, z. Reichs= u. Rechtsgesch. Italiens, I, 176) und Waitz (Forsch. z. Deutsch.
Gesch., X, 161, Note 1) darauf hin, daß tatsächlich die meisten anderen Fürsten
damals auch nicht nach Italien gezogen sind; aber bei Heinrich standen die Dinge
doch anders. Denn erstens hatte der Kaiser ihn ganz besonders aufgeforder,, seldst
in persönlicher Zusammenkunft, zweitens war er jenem durch dessen ständige Gunn-
bezeugungen besonders verpflichtet, und drittens hatte er als der bei weitem wichlüaße
Reichsfürst ohnehin in hervorragendem Maße die Pflicht, zu dessen Kriegen bei-
zutragen.
Wirklich bezeichnen zahlreiche zeitgenössische Quellen den an Kaiser und Reich
durch den heristiz verübten Hochverrat als den Grund zur Verurteilung Heinrichs.
Der Kaiser hat sich seit Legnano wiederholt bei den Fürsten wegen der Unbotmäßig=
keit Heinrichs beklagt (Gesta Henrici et Ricardi M. G. Ss. XXVII, 101, bie schon n
den 1190er Jahren geschrieben sind und die Geschichte Heinrichs d. L. genau kennen:
vgl. Waitz in den Forschg. z. D. Gesch., X, 162, Anm. 1). Besonders 1178 werden
die Klagen des Kaisers bei den deutschen Fürsten laut (Otto von St. Blasien, S. 36 f.
und Chron. Basileense, M. G. Ss. XXIV,"147), wahrscheinlich als diese sich Martm
1178 zum ersten Male nach Friedrichs Rückkehr um letzteren in Speier versammelten
(Ann. Pegav. p. 262). Der Kaiser ist der eigentliche Ankläger Heinrichs gewesen
(ipse imperator fuit auctor: Chron. Basileense a. a. O. p. 147). In seinem treff-
lichen Berichte über den Kreuzzug Kaiser Friedrichs sagt Ansbeck zu 1190 (Fontes
rerum Austriacarum, Ss. V, 75;: filius quondam Sazonie ducis Heinrich dui.
dum imperator contra Lombardos decertasset e. (Heinricus) auxilium peterte
negasset... dignitatem pedidit). Auch die Continuatio Sigeberti Aquiecinctina.
die 1201 abgeschlossen wurde, also ziemlich gleichzeitig ist, führt als Grund für dos
Verfahren des Kaisers gegen Herzog Heinrich an, daß dieser, trotz dreimaliger Auf-
forderung des Herrschers, ihm keinerlei Hilfe bei dem Zuge nach Italien gelerstet
habe (M. G. Ss. VI, 418).