— 30 —
der Kräfte (balance of power)? Wenn es nur ein Kampf für ein neues
Gleichgewicht ist, wer will, wer kann die Stabilität der neuen Vereinbarung
verbürgen? Nur ein ruhiges Europa kann ein dauerndes Europa sein.
Nicht ein Gleichgewicht, sondern eine Gemeinsamkeit der Macht ist not-
wendig, nicht eine organisierte Nebenbuhlerschaft, sondern ein organisierter
Gemeinfriede.
Glücklicherweise haben wir über diesen Punkt sehr ausführliche Ver-
sicherungen erhalten. Die Erklärungen der beiden jetzt gegeneinander auf-
gebotenen Völkergruppen stellen in nicht mißzuverstehender Weise fest,
daß es nicht in ihrer Absicht liege, ihre Gegner zu vernichten. Aber es
mag vielleicht nicht allen klar sein, was diese Erklärungen mit sich brin-
gen. Die Auffassung hierüber mag vielleicht auch nicht dieselbe auf beiden
Seiten des Wassers sein. Ich denke, daß es dienlich sein möchte, wenn ich
auseinanderzusetzen versuche, was nach unserer Meinung in diesen Ver-
sicherungen begriffen ist. Es ist darin vor allem begriffen, daß es ein
Frieden werden muß ohne Sieg. Möge es mir gestattet sein, dies auf
meine eigene Art auszulegen. Möge es wohl verstanden werden, daß ich
keine andere Deutung im Sinne hatte: Ich suche lediglich die Wirklichkeit
ins Auge zu fassen, ohne Heimlichkeiten, die nicht am Platze wären. Der
Sieg würde einen Frieden bedeuten, der dem Unterliegenden aufgezwungen
wird. Das dem Besiegten auferlegte Gesetz des Siegers würde als De-
mütigung und Härte, als ein unerträgliches Opfer angenommen werden, es
würde einen Stachel der Rachsucht und bitteres Gedenken hinterlassen, auf
dem das Friedensgebäude nicht in dauerhafter Weise, sondern nur wie auf
Flugsand ruhen würde. Nur ein Friede unter gleichen Bedingungen Kann
Dauer haben. Nur ein Friede, dessen Grundprinzip die Gleichheit und
gemeinsame Teilhaberschaft an dem gemeinsamen Nutzen ist, verbürgt die
richtige Geistesverfassung und die richtige Gesinnung unter den Nationen.
Er ist für einen dauerhaften Frieden ebenso notwendig, wie die gerechte Lösung
der streitigen Gebietsfragen oder der Fragen über Rassen- und Stammeszusam-
mengehörigkeit (racial and national allegiance). Die Gleichheit der Nationen,
auf die der Friede, wenn er dauerhaft sein soll, gegründet sein soll und
gegründet sein muß, muß die Gleichheit der Rechte sein. Die gegenseitigen
Bürgschaften dürfen einen Unterschied zwischen den großen und kleinen
Nationen, mächtigen und schwachen Völkern weder ausdrücklich anerkennen,
noch stillschweigend in sich begreifen. Das Recht muß gegründet sein auf
die gemeinsame Kraft, nicht auf die individuellen Nationen, von deren Zu-
sammenwirken der Friede abhängen wird. Eine Gleichheit der Gebiete
oder Hilfsmittel kann es natürlich nicht geben, ebensowenig irgend eine
andere Art der Gleichheit, die nicht in der gewöhnlichen friedlichen gesetz-
mäßigen Entwicklung der Völker selbst erworben wurde. Aber niemand
verlangt oder erwartet irgend etwas, das über die Gleichheit der Rechte
hinausginge. Die Menschheit hält jetzt Ausschau nach der Freiheit das