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tanten) des gesammten deutschen Volkes und daher an Aufträge
(Mandate) oder Instructionen nicht gebunden. 1)
In Folge der Unabhängigkeit, welche den Mitgliedern des
Reichstages nach allen Seiten gesichert sein soll, ist denselben
a) volle Redefreiheit und Frciheit ihrer Abstimmung durch die
Verfassung gewährleistet. „Kein Mitglied des Reichstages
darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder
wegen in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerungen
gerichtlich oder disciplinarisch verfolgt, oder sonst außer der
Versammlung zur Verantwortung gezogen werden“; 2)
b) daran reihen sich die Bestimmungen des Art. 31 der Reichs-
verfassung, lautend:
„Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied
desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit
Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder
verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der That
oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird.
Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen
Schulden erforderlich.
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafver-
fahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs-
oder Civilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode aufge-
hoben.“ 5)
1) Reichsverfassung Art. 29. Zu welcher Zeit und aus welcher Ver-
anlassung derartige Versuche gemacht werden, auf die freie, von Einflüssen
Dritter unabhängige Selbstbestimmung der Abgeordneten einzuwirken, ist
gleichgiltig. Eine Wählerschaft, welche dem Abgeordneten ein s. g. imperatives
Mandat ertheilen wollte, würde sich einer rechtswidrigen, daher nichtigen
Anmassung schuldig machen.
2) Reichsverfassung Art. 30; s. die Bestimmung der preuß. Verfassung
Art. 84 Abs. II. u. des R. Str. G. B. §. 11, der die Verfügung der Reichs-
verfassung generalisirt und daher den §. 27 Tit. VII. der bayerischen Ver-
assung aufgehoben hat.
*) Der Art. 31 ist sast wörtlich dem Art. 84 der preußischen Ver-
fassung entnommen; wegen Bayerns s. Verf.-Urk. Tit. VII. §. 26. Weder
der Wortlaut, noch die ratio legis gestatten, das Privilegium des Art. 31
auf den Vollzug einer rechtskräftig von den Gerichten erkannten Freiheitsstrafe
auszudehnen, und zu fordern, daß zur Abführung eines Abgeordneten in die Straf-
anstalt, bezw. zur Fortsetzung der Freiheitsstrafe die Genehmigung des Reichstags