Die Geschäfts-Ordnung des Reichstags. 8. 238. 615
) Zur Sicherung der Reichstagsmitglieder dient auch die
Verfügung des Strafgesetzbuches (§. 106), wonach derjenige
mit einer Verbrechensstrafe bedroht ist, welcher ein Mitglied
einer gesetzgebenden Versammlung durch Gewalt oder durch
Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, sich
an den Ort der Versammlung ) zu begeben oder zu
stimmen.
Der Disciplin des Reichstages, ausgeübt durch den Präsi-
denten, eventuell durch die Plenarversammlung, bleiben jedoch die
Reichstagsabgeordneten untergeordnet.
2) Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine
Besoldung oder Entschädigung beziehen. 5)
S. 238.
Vas Verfahren im Reichstage.
Die Festsetzung der Normen über das Verfahren im Reichs-
tage ist ihm überlassen; nur einige besonders wichtige Punkte
sind durch die Reichsverfassung geregelt, 1) wir beschränken uns
hier auf die Anführung der Hauptbestimmungen:
erholt werde; vergl. Laband, a. a. O. S. 572. Durch die Aufhebung
der Schuldhaft als Executionsmittel (s. Bundesgesetz vom 29. Mai 1868,
in Bayern als Reichsgesetz eingeführt durch das Reichsgesetz vom 22. April
1871 §. 2 Ziff. 4) hat der Absatz II einen Theil seiner praktischen Bedeu-
tung verloren.
4) Selbstverständlich stehen nur die officiellen Versammlungen unter
dem Schutze des Strafgesetzes, nicht auch Club= oder Fractions-Versamm-
lungen.
5) Reichsverfassung Art. 32. Der im Reichstage von 1871 gestellte
und seitdem oft wiederholte Antrag, den Art. 32 aufzuheben und den Mit-
gliedern des Reichstages Diäten und Reisekostenvergütung zu gewähren, erhielt
zwar im Reichstag stets die Mehrheit (Stenogr. Ber. v. 1871 B. III. S. 106
und in den Actenstücken 36), fand aber die Zustimmung des Bundesrathes nicht.
— Was die Auslegung des Artikels angeht, so können wir uns der Ansicht
nicht anschließen (die z. B. Rönne, das Verfassungsrecht des deutschen Reiches
S. 175 Note 2 vertritt), daß derselbe Privathonorirung zulasse. Dem Ab-
geordneten ist es verboten, eine Entschädigung zu „beziehen“, gleichviel aus
welcher Quelle. Modificirt ist der Art. 32 der Reichsverfassung durch Reichs-
gesetz v. 18. Febr. 1874 (R. G. Bl. S. 15), indem er den Reichstags-Ageord-
neten freie Fahrt auf den deutschen Eisenbahnen gewährt, die Privateisen-
bahnen erhalten hiefür aus der Reichskasse Entschädigung.
1) S. Reichsverfassung Art. 22 u. 28 Abs. I.