Full text: Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts.

618 Siebentes Buch. 8. 239. 
8. 239. 
IV. Die obersten Reichsbehörden. 
1) Allgemeine Grundsätze. Der Reichskanzler. 
1) Reichsbehörden sind jene organischen Einrichungen, welche 
Angelegenheiten des Reichs im Auftrage der Reichsgewalt zu 
besorgen bestimmt sind. Für welche Angelegenheiten solche 
Organe zu bestellen seien, bemißt sich nach den Bestimmungen 
der Reichsverfassung und nach dem Charakter des Reiches als 
eines Bundesstaates. Dieser bringt es mit sich, daß die Ver- 
wirklichung der staatlichen Aufgaben im Leben den Einzelstaaten 
zusteht, auch dann, wenn die positiven Bestimmungen, nach welchen 
dieses zu geschehen hat, vom Reiche ausgehen, und es sich um 
den Vollzug derselben handelt. Nur für jene Geschäfte, welche die 
Reichsverfassung auch im Vollzug dem Reiche überwiesen hat, bedarf 
dasselbe eigener Behörden, wobei die Frage, wer solche zu errichten 
befugt, ob insbesondere die Zustimmung des Reichstages dazu nöthig 
sei, nur aus dem Wortlaute und dem Geist der Reichsverfassung be- 
antwortet werden kann.:) — Die Ernennung der Reichsbeamten, 
so wie die etwa erforderlich werdende Entlassung derselben überträgt 
die Reichsverfassung dem Kaiser. Ueber die Rechtsverhältnisse 
der Reichsbeamten, insbesondere über deren Ansprüche auf Ge- 
halt, Wartegeld, Pension rc. entscheidet das besondere Reichsgesetz.) 
2) Der oberste Beamte des Reiches ist der Reichskanzler. 
Er wird vom Kaiser ernannt, führt als solcher den Vorsitz 
im Bundesrathe und leitet die Geschäfte desselben. 4) Die 
1) Vergl. Laband a. a. O. S 291. Einen Aufsatz unter dem Titel: 
„Verfassung und Zuständigkeit der deutschen Reichsbehörden“ in Hart- 
mann's Zeitschrift für Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiete des 
deutschen öffentlichen Rechts kann ich weder in der principiellen Auffassung 
noch in seinem Detail als gelungen erklären. 
2) S. Näheres bei Laband a. a. O. S. 301 ff. 
3) S. das Reichsgesetz v. 31. März 1873 (R. G. Bl. S. 61 und 
meine Samml. Suppl. II. S. 95 ff.); vergl. Laband a. a. O. S. 382 
und Thudichum in Hirth's Annalen IX. S. 265 ff. 
4) Reichsverfassung Art. 15; über seine Stellvertretung s. oben §. 230 
Z. 5. Eine Folge seiner Stellung ist es, daß er die Beschlüsse des Bun- 
desrathes, welche zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Reichstages 
bedürfen, dem letzteren im Namen des Kaisers zur Vorlage bringt.
	        
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