§ 94. Die Gemeinden und die Gemeindeverfassung. 59
diesenigen, welche Stadt= oder Marktrecht erworben haben. Unter
diesen Stadt= und Marktrechten waren gewisse Vorrechte verstanden,
welche in früherer Zeit die Städte und die sogen. größeren Märkte
genossen haben: als z. B. ganz besonders das Recht auf die städtische
Verfassung, Landstandschaft, Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt, auch eine
gewisse Gesetzgebungsgewalt, Bannrechte, Rechte zur Einrichtung von
Innungen 2c. Diese Vorrechte sind im Laufe der Zeit entweder ganz
verschwunden oder haben aufgehört, besondere Vorrechte der Städte
und (größeren) Märkte zu sein.
Zu diesen Gemeinden nun, welche im Sinne des Art 9 der
Gem.-Ordn. „Stadt= oder Marktrecht erworben haben“ und demgemäß
allein berechtigt sind, die städtische Verfassung anzunehmen, ge-
hören jetzt:
a. diejenigen, welche bereits auf Grund des Gemeinde-Ediktes
bezw. unter demselben das Stadt oder Markt-Recht hatten;
D. diejenigen, welche auf Grund des Art. 9 Abs. V der Gem.=
Ordn. von 1869 dieses Stadtrecht erworben haben bezw.
noch erwerben d. h. nach Maßgabe dieser Gesetzesbestimmung
durch kgl. Entschließing zur Annahme der städtischen Ver-
fassung ermächtigt werden.
Die Gemeinden sind nun nicht verbunden, die Verfassung, welche
sie zur Zeit besitzen, auch für alle Zeit beizubehalten.
Es ist vielmehr — unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften
— zulässt
Ann Stadtgemeinden die Verfassung der Landgemeinden, ferner
B. daß mittelbare Städte die Unmittelbarkeit erwerben bezw. un-
mittelbare Städte mittelbar werden und
C. daß Landgemeinden die Verfassung der Stadtgemeinden an-
nehmen.
Ad A. Nach Art. 9 Abs. I sind Gemeinden mit städtischer Ver-
fassung jederzeit befugt, die Verfassung von Landgemeinden
anzunehmen, doch müssen folgende Vorbedingungen hiezu er-
füllt sein, bezw. sind folgende Fälle zu unterscheiden:
1) Handelt es sich um eine Stadtgemeinde, welche nicht un-
mittelbar der kgl. Kreisregierung untergeordnet, also keine
sogen. unmittelbare Stadt ist, so kann sie jederzeit und
ohne daß eine genehmigende Allerhöchste Entschließung
hiezu nötig wäre, in die Klasse der Landgemeinden zurück-
treten.
Dazu ist aber vorausgesetzt, daß
a. alle Gemeindebürger, also nicht blos die stimmbe-
rechtigten, sondern auch die etwa nicht stimmberechtigten
(vgl. Art. 170 der Gem.-Ordn.) um ihre Zustimmung
befragt werden und daß mindestens zwei Dritteile der-
selben zu der beabsichtigten Annahme der Landgemeinde-
Verfassung ihre Zustimmung erteilen.