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Spandau fahren und mir an Ort und Stelle alles erzählen
lassen. Nun nehmen Sie, bitte, Platz.“ Er wies auf einen
bequemen Lehnstuhl in der Nähe seines eigenen, setzte sich
auch, zog eine Flasche Wein auf, die mit zwei Gläsern auf
einem Präsentierbrett neben ihm stand, und schenkte ein. „Sie
sind Rheinländer, diesen Tropfen werden Sie zu schätzen wis-
sen. Sie rauchen natürlich, dies sind gute Havannazigarren.
Früher rauchte ich sie selbst sehr gern, ich habe jedoch den
Aberglauben, daß jeder Mensch in seinem Leben nur eine
gewisse Anzahl Zigarren rauchen darf. Ich fürchte, ich habe
mein Teil schon aufgeraucht, so wende ich mich jetzt der Pfeife
zu. Nun sagen Sie mir mal, als amerikanischer Repu-
blikaner und als revolutionärer Achtundvierziger, welchen Ein-
druck macht Ihnen die gegenwärtige Lage der Dinge in
Deutschland? Ich würde die Frage gar nicht an Sie
richten, wenn Sie ein Geheimrat wären, denn dann wüßte
ich die Antwort schon im voraus. Aber Sie werden mir
Ihre wirkliche Meinung sagen.“
Schurz antwortete, er sei erst ein paar Wochen in Deutsch-
land und habe nur oberflächlich Eindrücke empfangen, aber
er habe den Eindruck, daß allgemein ein neubelebter nationaler
Ehrgeiz sich betätige, und daß Vertrauen und Hoffnung auf
die Entwicklung von freien politischen Institutionen gleichsam
in der Luft lägen. Er habe nur in Frankfurt einen Bankier
und in Nassau ein paar alte stockkonservative Philister ge-
troffen, welche enttäuscht und niedergeschlagen waren.
Bismarck lachte herzlich. Der mißvergnügte Nassauer,
sagte er, sei sicher ein Hoflieferant des ehemaligen herzog-
lichen Hofes, und er wolle wetten, daß der Frankfurter Bankier
entweder ein Mitglied der alten Patrizierfamilien sei, welche
meinten, sie wären der höchste Adel des Landes, oder ein
Börsenspekulant, der es beklagte, daß Frankfurt nicht mehr
wie ehemals das finanzielle Zentrum Süddeutschlands sei.
Und nun ließ Bismarck seiner sarkastischen Laune die Zügel