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schießen. Er hatte in Frankfurt mehrere Jahre als Gesandter
beim „seligen Bundestage“ zugebracht und wußte eine Menge
drolliger Anekdoten von den aristokratischen Ansprüchen der
patrizischen Bürger jener alten freien Stadt zu erzählen,
sowie von ihrem würdevollen Zorn über die Einverleibung
ihres Freistaates in das Königreich Preußen.
Dann erzählte er Schurz von den großen Schwierigkeiten,
die er überwinden mußte, um den Konflikt mit Oesterreich
zustande zu bringen. Eine der größten dieser Schwierigkceiten
war die peinliche Gewissenhaftigkeit und das Zaudern des alten
Königs Wilhelm, der nie in etwas einwilligen wollte, was im
geringsten verfassungswidrig zu sein schien, oder was nicht
ganz und gar mit den strengsten Ansichten von Rechtschaffen-
heit und Treu und Glauben übereinstimmte. Einen Augen-
blick sprach er vom „alten Herrn“ mit fast zärtlicher Liebe
und dann wieder in einem vertraulichen, ja ungenierten Ton,
der wenig Achtung und Ehrfurcht verriet. Er erzählte Anek-
doten vom König, die Schurz in höchstes Erstaunen versetzten,
besonders bei dem Gedanken, daß er den Premierminister des
Königs vor sich hatte, dem er ein vollkommen Fremder war
und der nichts von seiner Diskretion und seinem Gefühl von
Verantwortlichkeit wußte. Als wenn Bismarck und Schurz
ihr Leben lang vertraute Freunde gewesen wären, enthüllte
er dem letzteren, anscheinend ganz rückhaltlos und mit über-
sprudelnder Lebhaftigkeit Bilder von Vorgängen, die sich
hinter den Kulissen, während der berühmten Konfliktsperiode
zwischen der Krone und dem preußischen Abgeordnetenhause
abgespielt hatten. Bismarck, der den Krieg mit Oesterreich un-
abwendbar kommen sah, hatte ohne gesetzliche Vollmacht Mil-
lionen über Millionen der öffentlichen Gelder dazu verwenver,
das Heer für die große Krisis vorzubereiten. Die liberale
Majorität der Kammern und die öffentliche Meinung erkann-
ten beide nicht, daß die Einigung Deutschlands sein großes
Ziel war und erhoben sich hartnäckig und fest gegen dieses