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teilung II zur Prüfung. Gegen 30 ooo solcher Verein-
barungen und noch vielmehr Nachträge dazu sind von ihr
durchgesehen worden, damit der Kriegsgefangene nicht be-
nachteiligt und die Heeresverwaltung nicht übervorteilt wer-
den sollte. Uber jeden Antragsteller waren Urkunden vor-
handen und zu einem Heft verbunden. Etwa 28 o solcher
Bündel zählte ich bei Abschluß des Waffenstillstandes. Es
war gut, daß sie da waren, denn daraus bonnte man die
Beschwerden der Gefangenen, die nach deren Entlassung
reichlich einliefen, als nichtig nachweisen.
Um sich davon zu überzeugen, daß die Vertragebe-
stimmungen allenthalben eingehalten wurden, schickte die
Abteilung II Offiziere und Unteroffiziere zur Prüfung und
Besichtigung der Arbeitsabteilungen aus, was ihrerseits ja
schon die Lager taten. So durften sich die Kriegsgefangenen
versichert halten, daß ihre Rechte gewahrt blieben, wenn
sie nur treulich arbeiteten. Begleiten wir sie nun einmal
auf ihre Arbeitsstätten.
III. Die Kriegsgefangenen auf Arbeit
1. Im Dienste der Heeresverwaltung
Das Leben in einer menschlichen Gemeinschaft erfordert
Arbeit von einem jeden ihrer Glieder. Das haben die Bilder
aus den Kriegsgefangenenlagern binreichend gezeigt.
Aber die Beschäftigung in Form des inneren Dienstes
nahm nur einen kleinen Teil der eng zusammenlebenden
Masse der Gefangenen in Anspruch. Die bei weitem größte
Zahl unter ihnen fand keine oder nur ungenügende Ge-
legenheit, ihr Bedürfnis nach Betätigung zu stillen. Das
war ein Ubelstand, denn der gesunde Mensch hegt den natür-
lichen Drang, durch Arbeit etwas zu schaffen und damit das
an den Wurzeln des Lebeno nagende Gespenst der Lange-
weile zu bannen, und geht, sofern er ihn nicht befriedigen
kanm, dem körperlichen und seelischen Verfall entgegen.
Das trifft sogar auf die Naturen zu, die zur Bequemlich-
keit, ja Trägheit neigen. Dieser Übelstand mußte mit der
Zahl der Zugänge an Gefangenen und der Länge der Zeit
wachsen.
Die deutsche Heeresverwaltung aber in ihrer hohen Auf-
fassung vom Menschentume wollte weder die strebsamen,
noch die langweiligen Gefangenen verkümmern lassen; sie
erachtete es vielmehr als ihre Pflicht, ihnen allen die
Möglichkeit regelmäßiger Beschäftigung zu bieten, sie wieder
an ernste Arbeit zu gewöhnen und sie so auch während
einer längeren Gefangenschaft an Körper und Geist gesund
zu erhalten. Damit erstand ihr die Aufgabe, Arbeitsgelegen-
beiten über den Rahmen des inneren Dienstes, der Lager-
arbeiten, hinaus zu schaffen.
Das hielt nicht schwer, denn mit dem Kriege tauchten
ganz neue Bedürfnisse auf, deren Befriedigung zahlreiche
Arbeitskräfte verlangte, die in den Kriegsgefangenen reich-
lich vorhanden waren. So stellten sie Strohschuhe für die
Krankenhäuser, wollene Handschuhe für das Rote Kreuz
und Filzstiefel für die Wachtmannschaften her, besserten
die staatlichen Straßen in der Umgebung des Lagers aus,
legten neue an, gewannen die Baustoffe in den nahe-
gelegenen Steinbrüchen, Sand= und Kiesgruben, führten
Erdarbeiten auf den Truppenübungs= und Reitplätzen aus
und fertigten in besonders errichteten Handwerksstätten aller-
hand Auorüstungsstücke für unsere Krieger und ihre Pferde an.
Bald brauchte die Heeresverwaltung nicht mehr nach
Arbeit zu suchen, diese bot sich vielmehr nach und nach
selber an, weil durch die Einberufung vieler Arbeiter zum
Woffendienste die schaffenden Kräfte seltener wurden und
darum gesucht waren. Hauptsächlich zu Erd= und Bau-
arbeiten verlangten die verschiedenen Stellen der Heeres-
verwaltung mehr und mehr Kriegsgefangene.
Bis zu Hunderten haben sie in Gnaschwitz bei Bautzen,
Radeberg, Dresden- N., Kleinwelka bei Bautzen, Auers-
walde bei Chemnitz, Glauschnitz bei Königsbrück, Chemnitz,
Frankenberg, Großenhain, Wurzen, Kamenz und Plauen
gearbeitet. Kleinere Abteilungen standen den Truppenorts-
verwaltungen, Vorratsämtern, Krankenhäusern, Truppen-
teilen usw. zur Verfügung. So war im Laufe der Zeit die
JZahl solcher Arbeitsabteilungen bis auf rund 70 gestiegen.
Ihre Anzahl und Stärke mußte aber allmählich verringert
werden, und zwar in dem Maße, als die bürgerlichen Be-
triebe die Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte anforderten.
Seit Sommer 1915 tritt dies in Erscheinung, wie folgende
Sahlen beweisen mögen.
Die Heeresverwaltung beschäftigte außerhalb der bager:
Juni 1015 6400 Gefangene
August 10915 5600 „
November 1015 4000 »
März 1916 4700 „
November 1910 3500 »
März 1917 2800 „
Oktober 1917 1200
Dezember 1917 nur noch 900
Die wirtschaftliche Bedeutung der aArbeit, die in dieser
Hinsicht die Kriegsgefangenen dem Staate geleistet haben,
ist hoch zu bewerten.
2. Im Dienste der Volksernährung und des
Volkswohles im allgemeinen-
Unter den Wirtschaftsgebieten, die unserer Heeresver-
waltung nach und nach Beschränkung in der Verwendung
von Kriegsgefangenen inmerhalb ihrer Betriebe auferlegten,
stand die Landwirtschaft, die Nährmutter unseres Vorkes
in diesem Kriege, voran. Während ihr im Herbste 1914
noch genügend einheimische Kräfte zur Verfügung standen,
änderte sich das bereits im Anfange des Jahres 1915,
besonders in den fruchtbaren Gegenden Sachsens, um
Meißen, Bautzen und Oöbeln. Auf Anregung des Landes-
kulturrates wurde die allgemeine Verwendung von Kriegs-
gefangenen in landwirtschaftlichen Betrieben durch kriegs-
ministerielle Verfügung eingeführt.
Zunächst durften sie nur in Trupps von mindestens acht
Mann unter militärischer Bewachung abgegeben werden.
Als aber der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften
immer fühlbarer wurde, sah sich die Heeresverwaltung ge-
nötigt, von dieser Regel abzugehen und auch Arbeits-
abteilungen von 1—3, später von 4—5 und schließlich
von noch mehr Gefangenen ohne Wachtmannschaften hinaus-
zugeben. Damit kam sie vor allem den kleineren Betrieben
und alleinstehenden Frauen entgegen, die für so große
Arbeitsabteilungen weder Beschäftigung noch Raum gehabt
hätten.
Natürlich mußten die verantwortlichen Arbeitgeber nach-
weisen können, daß sie zur Beaufsichtigung der Gefangenen
geeignet waren oder, falls sie selbst zum Heeresdienste
einberufen, diese einer andern mänmlichen Person, wie etwa
einem Auszügler, Verwandten oder Nachbarn übertragen
hatten. Wo das nicht möglich und auch keine bestimmungs-
gemäße Unterkunft zu beschaffen war, da taten sich mehrere
Arbeitgeber zusammen und vereinigten ihre Gefangenen
besonders für die Nachtzeit in einer Sammelunterkunft, die
ein militärischer Posten zu überwachen hatte.
In jedem Falle blieben die Gefangenen ihrim Stamm-
lager unterstellt und hatten ihre Anwesenheit anfänglich
täglich entweder selbst oder durch Vermittelung des Arbeits-
gebers der Ortspolizeibehörde zu melden; später, als ihrer
in einem Orte zuviel und die täglichen Meldungen als
arbeitstörend empfunden wurden, waren die Arbeitgeber
nur noch gehalten, die Flucht des Gefangenen sofort an-
zuzeigen.
Bereits bis Ende l016 waren 253 solch bleine Arbeits-
abteilungen ohne militärische Bewachung mit rund 400