— 248 —
menschliches Interesse an der Lage der Christen, hat aber
dabei keine politische Aufgabe. Anders liegt es für Oester—
reich und Rußland, welche direkt in Mitleidenschaft gezogen
sind. Deutschland hat darauf hinzuarbeiten, daß zwischen ihnen
eine Einigung erfolgt. Andrassy übernahm die Initiative.
Nach der Rückkehr Alexanders von Livadia und nach der
zweiten Irade des Sultans trat Rußland bei, auch Deutschland
schloß sich an. Man verlangte vollkommene Religionsfrei-
heit, Aufhebung der Zehentpachten, die Zuweisung der Ein-
künfte von Bosnien und Herzegowina an diese Landesteile,
einen Aufsichtsrat von Christen und Muhammedanern zur
Ueberwachung der Ausführung, endlich die tunlichste Ab-
lösung des Frohndienstes.“)
Berlin, 10. April 1876.
Unterredung mit den Justizministern mehrerer
Bundesstaaten, betreffend die Eisenbahnfrage.““
Bismarck: „Die Presse und die einzelnen Regierungen
haben sich so früh mit der Sache beschäftigt, daß dieselbe einen
ernsteren und folgenschweren Charakter angenommen hat, als es
ihre eigene Bedeutung verdient. Es ist mir daher Bedürfnis,
mich mit Ihnen vertraulich zu besprechen, bevor ich dem preußi-
*) 25. Januar 1876. Unterredung mit dem Landrat von
Tiedemann, betr. seine Ernennung zum Rat im Staatsmini-
sterium. Tiedemann a. a. O., S. 38. — In der Verstimmung
über die verspätete Beschlußfähigkeit des Reichstages bemerkte
Bismarck einmal (1876): „Wenn ich Reichstagsabgeordneter wäre,
und drei Tage auf dem bestellten Platze vergeblich warten müßte,
so würde ich einen der Nachzügler fordern, mir dabei aber den
dicksten und kurzsichtigsten aussuchen.“ Onken Rud. v. Bennigsen,
Bd. II, S. 287.
*) Nach den Friesenschen Erinnerungen.