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päischer Wichtigkeit ist und noch manche zivilisatorische Auf-
gaben und Kulturmissionen zu erfüllen hat. Aber gerade,
weil Deutschland interessiert ist, daß Oesterreich-Ungarn diesen
Aufgaben, wenn sie herantreten, gewachsen ist, erfüllt es
mich mit einer gewissen Besorgnis und Unruhe, daß der fort-
dauernde innere Zwiespalt und die ewigen Ausgleichsdebatten
und Streitigkeiten die besten Kräfte des Staates lähmen
und aufzehren. Die stete Wiederkehr dieser Krisen und die
traurige Ueberzeugung, daß es mit dem ersten und auch mit
dem zweiten, ja vielleicht auch mit dem dritten Ausgleiche
noch nicht abgetan ist, und daß man nach einem gewissen Zeit-
raume wieder von vorn anfangen, wieder miteinander ringen,
Gladiatorenkämpfe führen, und was noch mehr ist, gleich
Schacherjuden feilschen und mäkeln muß, ist die bedenklichste
Erscheinung im befreundeten Kaiserstaate. Das kommt mir
vor wie ein schleichendes Fieber, welches, wenn es nicht nach
den ersten und zweiten Symptomen radikal kuriert wird, lebens-
gefährlich werden kann, indem es die besten, gesündesten Säfte
abforbiert.
Wäre ich ein Ratgeber Sr. Majestät des Kaisers von
Oesterreich, so würde ich demselben sagen: Majestät, appellieren
Sie an Ihre Völker dies= und jenseits der Leitha; was den
Parlamenten allzuschwer gelingt, wird Ihnen ein Leichtes
sein. Machen Sie die Lösung der Differenzen zwischen der
Ost= und Westhälfte Ihres Reiches zu einer Majestätssache
und ich garantiere Ihnen, der Ausgleich ist binnen zwei Wochen
fix und fertig.“ )
*) Beglaubigt äst diese Aeußerung ebensowenig wie die
folgende angeblich in das Jahr 1877 fallende Unterredung Bis-
marcks mit einem Diplomaten:
„Man schiebt mir vieles in die Schuhe, woran ich ganz
unschuldig bin und ich erfahre erst durch die Zeitungen, daß
ich es sei, der an diesem oder jenem Ereignis die Schuld trage.
Andererseits rechnet man mir wieder Verdienste zu, die ich nicht
habe. So hielt man es für ein Werk meiner Schlauheit, daß