Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

96 Anstaltsvormund. 
1810 nicht unterliegt und zu den in 
B 1812 bezeichneten Rechtsgeschäften 
keiner Genehmigungen bedarf. Berichter- 
stattungs- und Rechnungslegungspflicht 
bestehen also. 
Streitig ist, ob der Anstaltsvormund der 
Aufsicht des Gemeindewaisenrates unter- 
steht. Klumker SchrdDVf Armenpfl 
81 26 sagt: „Jedenfalls gehört er nicht zu 
den Vormündern, die nach B 1850 vom 
Gemeindewaisenrat zu überwachen sind, 
er ist ja gar kein Vormund im Sinne des 
Gesetzes.‘‘ Dagegen behauptet Crusen 
(s. u.) das Recht und die Pflicht des Ge- 
meindewaisenrates, auch dem Anstaltsvor- 
munde gegenüber zu wachen, daß für die 
Person der Mündel, insbesondere für ihre 
Erziehung und körperliche Pflege pflicht- 
gemäß gesorgt werde. In der Tat macht 
B 1850 keine Ausnahme; und wenn gleich 
der Anstaltsvormund selbst der Aufsicht 
nicht unterstände, so könnte doch der An- 
spruch auf Auskunft über das persönliche 
Ergehen und das Verhalten eines Mündels 
damit nicht ausgeschaltet sein. In der Tat 
wird die Aufsicht des Gemeindewaisen- 
rates über AV nicht ausgeübt. Sie kann 
aber doch, zumal in Fällen der Fürsorge- 
erziehung einmal praktisch werden; und 
es ist nicht abzusehen, inwiefern die An- 
staltsvormünder durch eine ‚„Beobach- 
tung‘ beeinträchtigt sein sollen, welcher 
nach B 1675 sogar die Inhaber der elter- 
lichen Gewalt unterliegen. 
Einf-B 136 ist sodann verschiedentlich 
so ausgelegt worden, als könne die Lan- 
desgesetzgebung auch die Frage regeln, 
wann der Anstaltsvormund oder ein son- 
stiger gesetzlicher Vormund ‚die Bestel- 
lung eines Einzelvormundes bei Gericht 
durchsetzen kann“. NachKlumker sind 
diese in Hessen, Bayern, Braunschweig, 
Sachsen und Oldenburg getroffenen Be- 
stimmungen ungültig, weil „die Frage, ob 
der Vormundschaftsrichter einen Vor- 
mund in einem bestimmten Falle bestellen 
soll, durch das B endgültig geregelt sei“. 
Das Landesgesetz könne daher dem 
Richter nicht vorschreiben, daß er aus an- 
deren Gründen, als das B ihm angebe, 
einen Vormund, der im Amte ist, abtreten 
lasse und für ihn einen anderen bestelle. 
Ob diese Ansicht zutrifft, dürfte zweifel- 
haft sein. Der Vorbehalt zugunsten der 
Einzelvormundschaft ist nach seinem 
Zwecke auszulegen. Das Reichsrecht hält 
es für das Ideal, wenn möglichst jeder 
  
Mündel einen besonderen Schützer erhält, 
solange sich solche in der nötigen Anzahl 
und Befähigung finden lassen. Die Mög- 
lichkeit einer solchen individuellen Für- 
sorge will deshalb das Gesetz dem Vor- 
mundschaftsgericht unter allen Umstän- 
den erhalten. Wenn also das Landesrecht 
das Vormundschaftsgericht zwingt, in ge- 
wissen Fällen von der Möglichkeit indivi- 
dueller Fürsorge Gebrauch zu machen, 
handelt es nicht gegen Zweck und Sinn 
des Einf-B 136. 
Eine Streitfrage von tiefeinschneidender 
Bedeutung besteht über die Stellung des 
Anstaltsvormundes gegenüber solchen 
Kindern, die der elterlichen Gewalt unter- 
stehen. Nach Klumker 36 unterstehen 
auch solche Kinder der AV, sofern das 
betr Landesgesetz von der ihm nach 
Einf-B 136 übertragenen Befugnis unein- 
geschränkten Gebrauch macht. Er stützt 
sich dabei auf den Wortlaut des Gesetzes, 
der nur voraussetze, daß ein Minderjähri- 
ger in einer Anstalt erzogen oder verpflegt 
werde. Träfe das aber zu, so käme man 
zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß das 
Vormundschaftsgericht auch über jeden 
Anstaltszögling trotz bestehender elter- 
licher Gewalt einen Vormund bestellen. 
könnte. Infolgedessen kommen auch die 
Kommentare, wie z. B. Staudinger, 
Planck,Schmitz,zuder Erläuterung: 
„Diese Ausnahmebestimmungen können 
nur Minderjährige betreffen, für welche 
Vormundschaftsbestellung nach dem B 
notwendig ist, hinsichtlich welcher also, 
soweit sie unter elterlicher Gewalt stehen, 
diese Gewalt gemäß B 1676, 1677, 1686 
ruht.‘“ Aber auch der Wortlaut gestattet 
die Auslegung Klumkers nicht. Der An- 
staltsleiterr hat nach dem Texte die 
„Rechte und Pflichten eines Vormundes“. 
Neben dem Inhaber der elterlichen Gewalt 
hat aber ein Vormund eben keine Rechte 
und Pflichten, solche hat vielmehr nur ein 
Pfleger, B 1628. Dementsprechend ist 
dann auch die von Klumker angezo- 
gene OLG Hamburg vom 22. Dez 1902 
irrtümlich. Einf-B 136 genügt also nicht, 
um eine gesetzliche Bestimmung zu er- 
setzen, welche nach Art der englischen 
„custody of children Act‘ das Ziel ver- 
folgt, den Eltern das Fortholen der jahre- 
lang vergessenen Kinder aus den Erzie- 
hungsanstalten zum Zwecke der Ausbeu- 
tung ihrer Arbeitskraft unmöglich zu 
machen. Solch ein Gesetz, und zwar
	        
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