Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

8 Abgeordnetenhaus. 
politische Selbständigkeit, welche das 
Wahlgesetz erfordere, sei keineswegs 
identisch mit der Selbständigkeit, von 
welcher privatrechtliche Bestimmungen 
die volle Gültigkeit gewisser Rechtsge- 
schäfte, namentlich von Verträgen, ab- 
hängig machen. Beschränkungen der letzt- 
gedachten Art schließen daher an sich das 
Wahlrecht nicht aus. Auch sei die Füh- 
rung eines eigenen Haushaltes nicht als 
Bedingung des aktiven Wahlrechtes an- 
zusehen. Gleichwohl gebe es gewisse 
persönliche Eigenschaften und äußere 
Verhältnisse, welche den Inhaber der 
ersteren bzw. den von den letzteren Be- 
troffenen in einen derartigen Zustand von 
Abhängigkeit versetzen, daß die zur Aus- 
übung des Wahlrechts notwendige poli- 
tische Selbständigkeit bei ihnen offenbar 
nicht als vorhanden angenommen werden 
kann, da sie nicht in der Lage sind, über 
ihre Person und ihr Eigentum zu ver- 
fügen. 
Jeder aktiv Wahlberechtigte hat die 
passive Wahlfähigkeit zum Wahlmann in 
demjenigen Urwahlbezirk, in welchem er 
wahlberechtigt ist, jedoch nicht in einem 
anderen, Wahl-V 18. 
Die passive Wahlfähigkeit zum Abge- 
ordneten erfordert nach Wahl-V 29: 
1. preußische Staatsangehörigkeit, 2. Voll- 
endung des 30. Lebensjahres, 3. Vollbesitz 
der bürgerlichen Ehrenrechte. Ferner 
muß der zu Wählende bereits ein Jahr 
lang dem preußischen Staatsverbande an- 
gehört haben. 
Die Mitglieder des Herrenhauses sind 
als Abgeordnete nicht wählbar, da 
niemand zugleich Mitglied beider Häuser 
des Landtags sein kann, V 78 Abs. 4. 
Nach dem Gesetz vom 27. Mai 1872 (GS 
277) können der Präsident und die Mit- 
glieder der Oberrechnungskammer nicht 
Mitglieder der beiden Häuser des Land- 
tages sein. Andere Beschränkungen be- 
stehen nicht, insbesondere ist die für das. 
aktive Wahlrecht erforderliche Selbstän- 
digkeit keine Voraussetzung für die pas- 
sive Wahlfähigkeit. 
Der Verlust des Abgeordnetenmanda- 
tes tritt ein, abgesehen vom Ablaufe der 
Legislaturperiode und Tod des Abgeord- 
neten, durch freiwilligen Verzicht, Ver- 
lust der Wählbarkeit (Verlust der preußi- 
schen Staatsangehörigkeit oder der bür- 
gerlichen Ehrenrechte) und Verurteilung 
zum Verluste der aus öffentlichen Wahlen 
  
hervorgegangenen Rechte, S 81, 83, 87 bis 
90, 95, 88 1, 3, 5, 6 des Gesetzes gegen 
den Verrat militärischer Geheimnisse, 
vom 3. Juli 1893 — RGBI 205 ff. Ferner 
hat die Annahme eines besoldeten Staats- 
amtes oder die Beförderung in ein Staats- 
amt, mit welchem ein höherer Rang oder 
ein höheres Gehalt verbunden ist, den 
Verlust von Sitz und Stimme zur Folge. 
Sie können jedoch durch eine neue Wahl 
wieder erlangt werden, V 78 Abs. 3. Aus 
der schon erwähnten Bestimmung, daß 
niemand zugleich Mitglied beider Häuser 
des Landtages sein kann, folgt, daß die 
Annahme der Berufung in das Herren- 
haus den Verlust des Abgeordnetenman- 
dates zur Folge hat. 
Beamte, und zwar auch mittelbare 
Staatsbeamte, bedürfen zum Eintritt in das 
Abgeordnetenhaus keines Urlaubs, V 78 
Abs. 2. Die hierdurch erforderlich wer- 
denden Stellvertretungskosten werden aus 
Staatsfonds bestritten (Beschluß des 
Staatsministeriums vom 24. Oktober 1869, 
Verfügung des Ministers des Inneren und 
des Finanzministers vom 21. November 
1869 — MBi für die ges innere Verw 
276 — und Verfügung des Justizministers 
vom 1. Dezember 1869 — ]JMBil 69 
234). Dagegen bedürfen Reichsbeamte 
des Urlaubs zum Eintritte in das Abge- 
ordnetenhaus (Fall Spahn 1899). 
Die Eröffnung und die Schließung der 
beiden Häuser des Landtags geschieht 
durch den König in Person oder durch 
einen dazu von ihm beauftragten Minister 
in einer Sitzung der vereinigten Häuser. 
Ihre Berufung, Eröffnung, Vertagung und 
Schließung kann nur gleichzeitig erfolgen. 
Wird ein Haus aufgelöst, so wird das 
andere gleichzeitig vertagt, V 77. Die 
beiden Häuser des Landtages müssen 
regelmäßig in dem Zeitraum von dem 
Anfange des Monats November jeden 
Jahres bis zur Mitte des folgenden Januar 
und außerdem, so oft es die Umstände er- 
heischen, einberufen werden (Gesetz vom 
18. Mai 1857, GS 369). Jedes Haus berät 
für sich (gemeinsame Sitzungen beider 
Häuser finden nur statt bei der Eröffnung 
und Schließung des Landtages, V 77, zum 
Beschlusse über die Notwendigkeit der 
Regentschaft, V 56, zur Wahl eines Re- 
genten beim Fehlen eines volljährigen 
Agnaten, V 57, und zur Eidesleistung des 
Königs und des Regenten auf die Ver- 
fassung, V 54, 58). Die Sitzungen sind
	        
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