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genannte Prinzip der identischen Norm,
das aber nicht so aufgefaßt werden darf,
als müsse die in Frage stehende Tat im
jetzt vorliegenden Falle auch gestraft wer-
den können im ersuchten Staat. Vielmehr
ist Inhalt des Prinzips das Erfordernis,
daß die konkrete Handlung von den Ge-
richten des ersuchten Staates gestraft wer-
den könnte, wenn sie auf seinem Gebiet
oder sonst unter seiner Gerichtsbarkeit
begangen wäre.
Während nun in älteren Verträgen der
mächtigere Staat sich bedungen hatte, daß
immer sein Recht entscheide, ob ein Aus-
lieferungsdelikt vorliege (so Frankreich
gegenüber einigen Bundesstaaten), ein
Prinzip, dem auch England und Amerika
huldigen, ist es in den neueren Verträgen
üblich geworden, festzusetzen, daß die in
Frage kommende Handlung nach dem
Rechte beider Staaten strafbar sein müsse.
Zweifel ergeben sich aber, wenn bei
einem Delikte des Vertragskatalogs der
Beisatz gemacht ist: „insofern die Hand-
lung nach der Gesetzgebung beider Teile
strafbar ist“, während der Zusatz bei an-
deren Delikten fehlt. Nach der richtigen,
neuerdings auch vom Reichsgericht aus-
drücklich gebilligten Ansicht haben die
vertragschließenden Teile in solchen
Fällen der Unterlassung des bezeichneten
Beisatzes die Übereinstimmung der Straf-
gesetze in allen Einzelheiten nicht für
nötig erachtet. Der ausliefernde und spä-
ter der aburteilende Staat wird also in sol-
chen Fällen nur zu prüfen haben, ob der
Tatbestand seines eigenen Strafgesetzes
vorliegt, RGSt 35 348.
Allgemeine Voraussetzungen der Ver-
folgbarkeit, Schuld- und Strafausschlie-
Bungsgründe sind nach dem Rechte des
ersuchten Staates zu prüfen, soweit die
nach dem Vertrag geforderten gericht-
lichen Vorgänge eine solche Prüfung
überhaupt möglich machen.
Wegen politischer Delikte im weitesten
Sinne wird von keinem Staate ausgeliefert,
auch wenn der Vertrag darüber nichts er-
wähnt. Politische Delikte (auch absolut
politische oder politische im engeren Sinn
genannt) sind alle vorsätzlichen gegen
Bestand und Sicherheit des eigenen und
fremden Staates sowie gegen das Staats-
oberhaupt und die politischen Rechte der
Staatsbürger gerichteten Verbrechen.
Komplexe oder gemischt politische, auch
relativ politische Delikte sind solche
Auslieferung.
Handlungen, welche den Tatbestand eines
politischen Delikts und den eines nicht-
politischen in ideeller oder gesetzlicher
Konkurrenz erfüllen (z. B. Königsmord).
Konnexe, in Zusammenhang mit politi-
schen Delikten stehende Handlungen sind
Verbrechen, die selbständig den Tatbe-
stand eines gemeinen Delikts erfüllen,
aber in innerer Verbindung mit politischen
Verbrechen stehen. Ob für diesen Zusam-
menhang Zweck oder Motiv entscheidend
ist, darüber wird gestritten. Jedenfalls
wird der Zusammenhang in der Praxis
sehr weitherzig ausgelegt und auch bei
solchen Delikten nicht ausgeliefert.
Nicht zu den politischen Delikten ge-
hören strafbare Handlungen von Beamten
und gegen Beamte oder Behörden des
Staates und der Selbstverwaltung, Ver-
letzungen der für einzelne Verwaltungs-
gebiete besonders eingeschärften Gebote.
Auch Preßdelikte sind nicht ohne weiteres
politische Vergehen.
Die zahlreichen Attentate gegen ge-
krönte Häupter in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts wirkten der allzu
großen Ausdehnung des Asylschutzes für
politische Delikte mächtig entgegen und
brachten zuerst im klassischen Lande der
Auslieferung, in Belgien, die Attentats-
klausel, wonach Mord des fremden Staats-
oberhaupts oder seiner Familienmitglie-
der, der Versuch eines solchen Verbre-
chens oder die Teilnahme daran von den
politischen Delikten ausdrücklich ausge-
nommen werden. Diese Klausel hat seit-
her in die meisten Verträge Aufnahme ge-
funden.
Den Oegensatz zu der weiten Auslegung
des Begriffs der politischen Delikte bilden
die Verträge Rußlands mit Preußen und
Bayern vom Jahre 1885, in denen aus-
drücklich bestimmt ist, der Umstand, daß
das Auslieferungsdelikt in politischer Ab-
sicht begangen ist, solle nicht als Grund
dienen, die Alf abzulehnen.
Die militärischen Delikte sind keine po-
litischen Delikte. Sie begründen aber, ab-
gesehen von den Deserteurkartellen, die
Alf nur wegen eines in denselben enthal-
tenen gemeinen Verbrechens oder Ver-
gehens, das allein der Verurteilung zu-
grunde gelegt werden darf.
Ergibt sich schließlich bei Prüfung der
Tatbestände, daß die Strafgesetzgebung
eines oder beider Vertragsstaaten seit
dem Inkrafttreten des Vertrags geändert