Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Baden. 
Land oder des Besitzes des Staatsbürger- 
rechts vorausgesetzt. Ein Frauenstimm- 
recht besteht nicht. 
Während dieses Wahlrecht keiner be- 
stimmten Potenz Siege sichert, beruht die 
I. Kammer auf dem gegenteiligen Prinzip. 
Virilstimmen kommen darin den groß- 
herzoglichen Prinzen, den Chefs der mit 
Standesherrschaften in Baden angesesse- 
nen mediatisierten Häuser (7), welche 
Chefs allein auch die Befugnis sich ver- 
treten zu lassen (durch Agnaten) haben, 
sowie dem Erzbischof von Freiburg und 
dem evangelischen Prälaten zu; auchkann 
erbliche Landstandschaft bei gewissem 
Stammgutsbesitz verliehen werden. Durch 
großherzogliche Ernennung sind bis zu 
8 Mitglieder (darunter stets 2 richterliche 
auf Lebenszeit) zu berufen, im allge- 
meinen für die Legislaturperiode. Die üb- 
rigen 21 Mitglieder, somit die Mehrheit 
des Hauses, sind gewählte Abgeordnete, 
und zwar 8 des Grundadels sonst, 3 der 
Hochschulen, 6 der gesetzlich organisier- 
ten Körperschaften (Handels-, Landwirt- 
schafts-, Handwerkskammern), 4 Kommu- 
nalvertreter (3 städtische Bürgermeister, 
1 Kreisausschußmitglied), letztere jedoch 
nicht von der Stadt- oder Kreisbevölke- 
rung, sondern von insgesamt den be- 
züglichen Selbstverwaltungskollegien er- 
wählt. 
Die ständischen Aufgaben und Rechte, 
als Teilnahme an der Gesetzgebung, ins- 
besondere auch für den Staatshaus- 
halt, nebst Kontrollrechten, Initiative, Pe- 
titionsbefindung, Interpellationsbefugnis, 
entsprechen dem gewohnten konstitutio- 
nellen Bilde, wobei aber die Existenz von 
Einnahme- und Ausgabebewilligungsrecht 
(doch sind die meisten Steuergesetze 
Dauerrecht) hervorzuheben ist. Bezüg- 
lich der Finanzgesetze überhaupt besteht 
zugunsten der Il. Kammer ein Vorgangs- 
recht (d. h. sie müssen ihr zuerst vorge- 
legt werden) und ein Vorablehnungsrecht 
(d. h. die abgelehnten Entwürfe können 
in keiner Weise wieder aufleben), zugleich 
aber bezüglich des Finanzgesetzes im 
engeren Sinn (Gesetz zur 2jährigen Fest- 
stellung der Finanzierung des Staatshaus- 
halts) und gleich zu behandelnder Punkte 
ein stärkeres Bestimmungsrecht insofern, 
als 
1. bei Uneinigkeit zwischen beiden 
Kammern, wenn sie durch wiederholte 
Beschlußfassung mit vorgängigem Zu- 
  
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sammentritt der beiderseitigen Kommis- 
sionen nicht zu heben war, bezüglich ein- 
zeiner Budgetpositionen jede unausge- 
glichene Position in den Staatsvoran- 
schlag in der von der Il. Kammer gege- 
benen Endgestalt eingesetzt wird, 
2. bei Ablehnung eines ganzen Ent- 
wurfs durch die I. Kammer, auf Ver- 
langen der anderen oder der Regierung 
noch eine Gesamtabstimmung nachfolgt 
mit unterschiedsloser Durchzählung der 
Stimmen beider Häuser über den Ent- 
wurf in der von der II. Kammer gegebe- 
nen Fassung; hierbei eintretende Stim- 
mengleichheit wird durch die Stichstimme 
des Präsidenten der II. Kammer gelöst. 
Zu den Finanzsachen zählt auch hin- 
sichtlich wirtschaftlicher Fragen das Do- 
mänenwesen, bezüglich dessen die Ver- 
fassung zwar das fortdauernde Patrimo- 
nialeigentum des zähringischen Hauses 
an den Domänen feststellt (mit Unrecht 
bezüglich der seit dem Preßburger Frie- 
den gemachten Staatseroberungen), aber 
zugleich die Überlassung von Verwaltung 
und Genuß an den Staat „bis zu herge- 
stellter Finanz‘‘ zu deren Erleichterung 
ausspricht, unter Radizierung von Zivil- 
liste, Apanagen, Wittum u. dgl. als vor- 
behaltenen Eigentumsrenten auf den Er- 
trag. Der Domänengrundstock bildet 
demzufolge auch heute noch ein vom 
Staatsgrundstock sonst ausgeschiedenes 
Vermögen. 
Bezüglich der Gesetzgebung sonst, 
welche wörtlich nur für „Freiheit der Per- 
son oder Eigentum“ betreffende Normen 
begehrt ist, hat sich in liberaler Weise 
allmählich ohne Rechtszwang das politi- 
sche Prinzip herausgebildet, daß die Ge- 
setzesform gewählt wird für alle Rechts- 
normen, welche die Staatsbevölkerung (im 
Gegensatz zu bloß den Behörden und Be- 
amten) binden sollen, insbesondere Ge- 
bote, Belastungen oder Verbote enthal- 
ten; auch können ÖOrganisationsanord- 
nungen, welche den Aufwand erhöhen, 
nach positiver etatsrechtlicher Bestim- 
mung nicht vor ständischer Bewilligung 
der Erhöhung vollzogen werden. 
Die Geschäftsweise der Kammern ist 
ein Zusammenwirken in getrennter Ar- 
beit. Nur die Kommissionen können auf 
beiderseitigen Wunsch (müssen es nach 
Vorschrift im oben bezeichneten Fall) ge- 
meinsam beraten; die Kammern selbst 
kommen außer Zeremonialakten nie zu-
	        
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