302
serung um zwei Stimmen (von 4 auf 6).
Gleichwohl mußten, ohne daß dies in
dem Abschnitt III der R 6-10 (BR), wel-
cher selbst denjenigen über das „Prä-
sidium‘ vorangestellt ist, besonders zum
Ausdruck kommt, wesentlich drei Um-
stände modifizierend einwirken:
1. die völlig veränderte Stellung der
Präsidialgewalt als einer nun militärisch-
diplomatischen Hegemohnie,
2. das Hinzutreten eines zuvor nicht
existenten parlamentarischen Faktors, des
Reichstags,
3. die Ausbildung der neuen Gemein-
schaft zu einem selbständigen, mit reicher
Kompetenz ausgestatteten Staatswesen an
Stelle des alten Staatenbundes, der nur bei
Einstimmigkeit der Glieder seine Verfas-
sung ändern konnte.
II. (Föderative Grundeigenschaft.) Die
Zusammenpfropfung dieser neuen Rei-
ser mit dem alten Stamm bewirkte, daß
der politische und Rechtscharakter des BR
an den üblichen Theorien und an fremd-
ländischen Institutionen gemessen, ein
widerspruchsvolles Gebilde, wie das Reich
selbst, ist. Mancher Eigenschaft muß eine
Beschränkung beigefügt werden und doch
liegt gerade in der eklektischen Verbin-
dung verschiedenartiger Elemente auch
manche Stärke der Einrichtung. Am ent-
schiedensten ausgeprägt als Grundeigen-
schaft ist das föderative Prinzip.
Das Bundeskollegium ist seiner Auf-
gabe nach aus einer völkerrechtlichen Ver-
sammlung zwar ein staatsrechtliches Or-
gan geworden. Aber seinen persön-
lichen Teilnehmern, den Bevollmächtig-
ten, ist gleichwohl die völkerrechtliche
Stellung bewahrt, R 10, und die staats-
rechtliche Aufgabe besteht gleichzeitig in
der Vornahme von Reichsgeschäften wie
in Ausübung der einzelstaatlichen Rechte
am Reichsorganismus selbst.
Wohl ist ein Stoff- und Funktionsbe-
reich ausgeschieden, in welchem die Prä-
sidialmacht namens der Gesamtheit allein
sich zu betätigen hat. Aber dieselbe hat
andererseits im Bereich der bundesrät-
lichen Aufgaben nur eine formelle Leitung
und alle Befugnisse der Vormacht im BR
können nur mittels der preußischen
Stimmführung, also in der föderativen
Stellung, ohne ein suzeränes oder obrig-
keitliches Recht, ausgeübt werden. In
den Stimmrechten sind alle Bundesglieder
qualitativ, wenn auch nicht quantitativ,
Bundesrat.
gleich, soweit nicht steigernde Reservat-
rechte eintreten.
Da die Souveränität des Reichs der Ge-
samtheit der Bundesglieder zusteht, ist
der BR als die Versammlung ihrer Bevoll-
mächtigten die Stelle, in welcher diese
Souveränität und — nach Bismarcks Aus-
spruch — zugleich die Souveränität der
Einzelstaaten ihren fortdauernden Aus-
druck findet. Er hat auch die Ausschüsse
des BR gleichsam als die Fachministerien
des Reichs hingestelit, und solange der
Behördenapparat des Reichs ein höchst
kleiner war, lag dem größere Realität zu-
grunde. Auch bestehen vielfache Befug-
nisse des Bundesrats für die Exekutive.
Umgekehrt kommt demjenigen Staat,
welcher als Reichsland nicht Mit-
subjekt, sondern Objekt der Reichs-
souveränität ist, keine Mitgliedschaft von
mitbeschließender Kraft im BR zu:
die Vertreter von Elsaß-Lothringen sind
nicht Bevollmächtigte eines Bundesgenos-
sen, sondern Kommissare der Landesver-
waltung, haben nur beratende Stimme und
können nicht als Mitglieder von Ausschüs-
sen erwählt werden, ja ihre Tätigkeit ist
nach $ 7 des Gesetzes vom 4. Juli 1879
über Verfassung und Verwaltung dieses
Landes beschränkt auf die „Vertretung
der Vorlagen aus dem Bereich der Lan-
desgesetzgebung, sowie der Interessen
Elsaß-Lothringens bei Gegenständen der
Reichsgesetzgebung‘‘ und damit auf die
Teilnahme an den Bundesratsberatungen
„über diese Angelegenheiten‘; als Ge-
genstände der Reichsgesetzgebung sind
jedoch nicht allein Gesetzesvorlagen, son-
dern die Stoffgebiete der Reichskompe-
tenz zu erachten, gleichviel ob sie im Ein-
zelfall legislative oder administrative Fra-
gen im BR auslösen.
Die Auffassung des BR als die
Stelle, in welcher jeder Staat sein eigenes
Recht ausübt, wird in der Theorie bis zu
der Folgerung betont, daß kein Staat ver-
pflichtet sei, sein Stimmrecht in BR
auszuüben (so z. BLaband, Meyer-
Anschütz, v. Seydel gegen Zorn
u. a), und findet scheinbar Anhalt
in R 7 durch den Satz: „Nicht ver-
tretene oder nicht instruierte Stim-
men werden nicht gezählt.“ Aber
die Ausdenkung zu einem Obstruk-
tionsrecht der ganzen Einrichtung (jeder
Staat könnte sich ja enthalten) wäre ebenso
verwerflich wie die Verteidigung einer