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an sich, sondern auch darauf, ob — so-
fern ein Streit besteht — der Vollmacht-
geber Souverän des Gliedstaates und
bündnisgemäß sei. Wohl kann es dem BR
bei der einzelstaatlichen Selbständigkeit
nicht zustehen, Thronkontroversen seiner-
seits aufzuwerfen, auch hat kein Agnat
an sich als solcher ein Anrufungsrecht.
W: aber ein Thronstreit sich als Streit re-
gierender Häuser darstellt, für welche je
ein Staat sich einsetzt und einer den BR
anruft, R 76 Abs 1, oder ein innerer Ver-
fassungsstreit sich erhebt, daselbst Abs 2,
oder ein Zustand entsteht, bei welchem
die Aufrechterhaltung des innerhalb des
Bundesgebiets gültigen Rechtszustands
(Einleitung der R) das Eingreifen der
Reichsautorität erheischt, kann der BR als
das höchste Organ der Gesamtheit den
Streit nicht ignorieren. Damit ist nicht ge-
sagt, daß er die vorläufige Zulassung
eines Bevollmächten unter Vorbehalt und
die Selbstverständigung Streitender über
eine Schiedsinstanz nicht herbeiführen
könne; er muß aber nach Bedarf mit für-
sorgen, daß der Zustand der Ungewißheit
über das Mitgliedschaftsrecht im Bunde
nicht Dauer haben könne, ebenso wie er,
bei der Unmöglichkeit eines Kriegszu-
stands unter den Bundesgliedern, zur Aus-
übung des Mitgliedschaftsrechts Genos-
sen, welche (abgesehen von bloßen Grenz-
streitigkeiten) auf Territorien anderer
Bundesfürsten ein Herrschaftsrecht bean-
spruchen, nicht zulassen kann.
Dem sachlichen Umfang nach stellt das
Bundesverhältnis sich als Mittel dar, das
Gesamtleben der deutschen Nation zu er-
füllen und zu erhöhen (Einleitung zur R).
Die staatlichen Träger dieses Lebens sind
die Gliedstaaten selbst und ist es daher
trotz der Abgrenzung der Sphären von
Reich und Land, R2—4, verfehlt, auf den
Unterschied beider die Souveränitätsfrage
zu stellen. Aber wie die Reichskompetenz
der Erweiterung fähig ist, so auch damit
diejenige des BR von selbst; denn von
ihm sind alle Reichszuständnisse, welche
nicht auf ein anderes Organ abgezweigt
sind (Kaiser, Reichstag, Kanzler und son-
stige Reichsbehörden), auszuüben. Sein
Entscheid stellt, auch per majora, den
Willen aller Glieder dar, soweit nicht für
Einzelrecht Wahrungen bestehen; so voll-
zieht sich eine ständige Erweiterung des
Bundeslebens. In diesem kommt dem BR
die Betätigung auf dem ganzen Reichs-
Bundesrat.
stoffbereich zu, und zwar in allen Arten
staatlicher Funktion. Denn er ist im ein-
zelnen bei der Gesetzgebung, Verwaltung
und Rechtsprechung beteiligt, wie im gan-
zen für die Leitung des Bundesverhält-
nisses berufen und insbesondere übt er
auch das wichtige Recht der Kompetenz-
kompetenz, d. h. wenn ein Frage aufge-
worfen wird der Zuständigkeit, nament-
lich auch ob eine erstrebte Norm als Ver-
fassungsänderung oder speziell als Ände-
rung des Einzelrechts eines Gliedstaats
anzusehen sei, so entscheidet er (mit ein-
facher Mehrheit) darüber. Doch hat sol-
cher Entscheid nicht die Bedeutung eines
fortwirkenden Rechtsspruchs, sondern der
Lösung des Einzelfalls, und der Reichs-
tag ist an die Beurteilung des BR nicht
gebunden.
Zwar wird für das Reich fast allgemein
verneint die Befugnis zu provisorischen
Gesetzen, wie sie noch Bluntschliund
v.Held (nach Ansicht des Unterzeichneten
mit Recht) aus dem konstitutionellen We-
sen an sich ableiteten. Wenn man solche
Staatshandlungen zulassen will, so müß-
ten sie für das Reich als Beschluß föde-
rativen Charakters, mit Beitritt des Kai-
sers, gedacht sein. Wo ein Arm der Ge-
setzgebung ermangelt (z. B. in der Zeit
der Reichstagsauflösung bis nach der
Neuwahl), der Staat aber nicht deshalb
handlungsunfähig sein kann, so ist
das Betätigungsrecht ad interim natur-
gemäß sonstig in der geübten Weise
zu konstruieren; tatsächlich ward einmal,
RGesBl 83 303ff, eine Notverordnung
erlassen (vom Reichskanzler unter kaiser-
licher Ermächtigung mit Zustimmung der
verbündeten Regierungen) und Anlaß zur
Einrichtung einer Spezialkompetenz in
Hinkunft (kaiserl VO mit Zustimmung des
BR zu gewissen Zollermäßigungen). Daß
für eine etwa eintretende Zeit der Budget-
losigkeit kein Stillstand in der Fortfüh-
rung der Reichsbetätigungen denkbar ist
und solchenfalls auf jenen Organen Für-
sorgerecht und Last davon ruht, ist in wei-
terem Maße in der Doktrin anerkannt.
In all diesen Hinsichten erscheint der
BR als Träger entweder einzelstaatlicher
Rechte oder einer durch den steten Zu-
sammenschluß der Einzelstaaten zu lösen-
den gemeinsamen Aufgabe. Der födera-
tive Aufbau ist hiernach Zweck und
Grundeigenschaft des BR, während der
unitarische beim Reichstag es ist und die