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den Gattungen von Entwürfen bei zwei
Körperschaften durchzubringen, ähnlich
wie bei einem Zweikammersystem. Die
Ministerverantwortlichkeit des Kanzlers
besteht auch dem BR gegenüber, R 17;
dagegen trägt der BR gegenüber dem
Reichstag keinerlei Verantwortung, steht
ihm vielmehr als ein selbständiger Gesetz-
gebungsfaktor wie eine andere Kammer
gegenüber. Er stellt endlich, indem er
auch berufen erscheint, die Länderinter-
essen beim Reich zu wahren, sich als ein
Staatenhaus dar. Und trotzdem ist er
wieder kein Oberhaus, denn
1. es kann gar kein Entwurf an den
Reichstag gehen, wenn der BR ihn nicht
zuvor beschlossen hat, R 7 Ziff 1; er hat
ebensowohl die Befugnis, Entwürfe der
Ressorts, also tatsächlich Anträge namens
der preußischen Stimmführung, oder der
anderen Bundesglieder a limine abzuwei-
sen, wie die Gesetzesinitiative für den Re-
gierungsfaktor;
2. er kann nicht amendieren, sobald der
Entwurf an den Reichstag kam, R7 Ziffl;
3. er nimmt selbst teil an den Beratun-
gen des Reichstags, und zwar ihm gegen-
übergestellt als Regierungsfaktor, R 9;
4. er ist durch die Geheimhaltung seiner
Verhandlungen des parlamentarischen
Außengewandes bar;
5. er besteht nur aus beamteten, jeder-
zeit abberufbaren Mitgliedern, R 6 Abs 2,
ist daher keine gesetzgebende Versamm-
lung in dem üblichen Sinn einer Volks-
vertretung, gebildet aus besonders wich-
tigen Potenzen, wie sie meist in Ober-
häusern sich finden. Die Mitglieder stim-
men nicht nach freier Überzeugung, son-
dern nach Instruktion.
Ebensowenig ist er eine Behörde, etwa
das höchste Reichsministerium, obwohl
er namentlich im Anfang der Entwicke-
lung, als der Reichsapparat noch ein ein-
facher war, tatsächlich in manchem so fun-
giert hat und FürstBismarck betonte: „Eine
Reichsregierung kann nach unserer Ver-
fassung überhaupt nicht anders ausgeübt
werden als von den 25 einzelnen Staaten
zusammen.‘‘ Die Realität des Bundesprin-
zips ist daran zu bemessen, in welchem
Grade den Bundesratsbevollmächtigten
nicht bloß formell, sondern wirklich und
rechtzeitig ein mitbestimmender Einfluß als
nahen Beratern in der Reichspolitik durch
die Bedeutung und Würdigung ihrer Mitar-
beit mit den Reichsressorts gewährt wird.
Bundesrat.
Gleichwohl ist der BR rechtlich zwar ein
Regierungsfaktor des Reichs, indem er
eben nicht nur zur Wahrnehmung der
Gliedstaatenrechte, sondern wesentlich
auch zu organischer Tätigkeit für die Ge-
samtheit berufen ist; aber ein behörd-
licher und speziell ministerieller Charak-
ter ist damit nicht gegeben. Die Verantwor-
tung, welche jede Behörde einem ernen-
nenden Auftraggeber schuldet, trägt er
nicht, weil es einen solchen für ihn als
Gesamtheit nicht gibt; er setzt sich zu-
sammen zufolge einer Summe von Einzel-
ernennungen von verschiedenen Staaten,
diese stehen hierfür in keiner Gemein-
schaft, so wenig wie die Bevollmächtig-
ten in einem Dienstverhältnisse zum
Reich. Die Eigenschaft eines Regierungs-
faktors liegt vielmehr allein in den sach-
lichen Befugnissen, welche nach Art und
Umfang eine bedeutsame Beteiligung an
der Reichsleitung darstellen.
Schwierig ist dabei die Abgrenzung ge-
genüber Kaiser und Kanzler, welchen der
BR unabhängig gegenübersteht. Doch
nicht auf dem rechtlichen Gebiete an sich
finden sich Schwierigkeiten, denn im we-
sentlichen sind die Zuständigkeiten (s.
VII.) abgegrenzt und nur einzelne Punkte
unklar oder strittig. Aber die tatsächlichen
Verhältnisse können im einzelnen selbst
Unausführbarkeiten des Rechtlichen erge-
ben. So wird niemand an die vom BR zu
beschließende, vom Kaiser dann auszu-
führende Bundesexekution gegen Preußen
glauben, R 19. Daß der Kanzler eine ver-
fassungsmäßig nach Beschluß des BR zu
bewirkende Vorlage, daselbst 7 (Ziff 1) u.
16, einzubringen ablehnt, mit Berufung auf
die Ministerverantwortlichkeit, zeigt die
tatsächliche Grenze des bundesrätlichen
Rechts, zumal dieser Körperschaft oder
ihren Mandanten keinerlei Befugnis in be-
zug auf Ernennung und Entlassung des
höchsten Reichsbeamten zukommen kann,
R 18. Dieser selbst muß übrigens als Vor-
sitzender des BR auch Bevollmächtigter
Preußens in demselben sein, da der Vor-
sitz Ausfluß des preußischen Präsidial-
rechts ist und der Kaiser nicht als solcher,
sondern als preußischer König Mitglied
des Bundes ist, R 15 mit 6 und 11, und
steht daher zu gleicher Zeit in verschiede-
nen Rollen dem BR gegenüber, nämlich
als ihm unverantwortlicher preußischer
Stimmführer und als verantwortlicher
Reichsminister. Für die Tätigkeit des BR,