Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Bundesrat. 
als eines selbständigen Organs, ist er in 
keiner Weise verantwortlich. 
IV. (Stimmrechte.) Da der BR die Stelle 
ist, an welcher der Machtanteil jedes 
Gliedstaates an der Reichsgemeinschaft 
zur Ausübung gelangt, und zwar mittels 
der Stimmrechte, so ist deren Zuteilung 
und Verhältnis der wichtigste von den 
Einzelpunkten der Organisation. Denn 
wenn auch die Gesamtheit der Bundes- 
glieder ungeteilt als ein Körper die Reichs- 
herrschaft darstellt, so löst sich tatsäch- 
lich die Frage der Willensentscheidungen 
im Einzelfalle, soweit nicht Einstimmig- 
keit eintritt, dahin auf, ob, wann und wie 
eine Majorisierung zu erzielen ist und er- 
tragen werden muß. 
In der Verfassung, Art 6, sind nur die 
Stimmrechte im Plenum voll geregelt und 
es erheischt, bei voller Präsenz, die abso- 
lute Mehrheit, da es 58 Stimmen (bei 25 
Staaten) im ganzen gibt, deren 30. Das her- 
gebrachte und aufrechterhaltene Stimm- 
verhältnis weist (außer den in I schon 
bezeichneten Stimmen von Preußen und 
Bayern mit 17-6) den anderen König- 
reichen (Sachsen, Württemberg) je 4, den 
Großherzogtümern Baden und Hessen je 
3, den Staaten Mecklenburg-Schwerin 
und Braunschweig je 2, allen anderen 17 
Ländern je 1 Stimme zu. Die Stimmver- 
teilung entspricht keiner Proportionalität, 
weder der Bevölkerung noch des Areals 
oder einer ökonomischen Grundlage. Das 
Ganze ist nur historisch zu verstehen. Da- 
bei treten übrigens politisch zwei nicht 
unwichtige Umstände in die Erscheinung: 
1. Eine Majorisierung selbst Preußens 
seitens der übrigen Bundesgenossen, 
welche 41 gegen 17 Stimmen haben, ist 
durchaus möglich. Ein Bundesverhältnis, 
bei dem die Vormacht eine erdrückende 
Stimmenzahl besäße, wäre eine Farce. 
Der juristische Gesichtspunkt jedoch des 
Stimmenbesitzes reicht in einem solchen 
Verhältnis allein nicht durch. Es ist nur 
das Ergebnis richtiger politischer Einsicht, 
daß in großen nationalen Fragen, bei 
voller Äußerung zu würdigender Beden- 
ken, doch die führende Stellung demjeni- 
gen Staat nicht verschränkt werde, dem 
die Hegemonie als das geschichtliche Re- 
sultat unserer neuen Einrichtung zuge- 
fallen ist. Dagegen gibt es nicht selten 
Anlässe anderer Vereigenschaftung, wo 
nicht weiter gefragt wird, wie sich die 
Mehrheit zusammensetzt. Ein moralischer 
  
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Anspruch der Einzelstaaten auf Vollgel- 
tung ihres Stimmengewichts besteht na- 
mentlich in Finanzfragen, weil davon 
ihre gedeihliche Fortexistenz abhängt. 
2. Es nehmen die mindest bevölkerten 
Gliedstaaten die am meisten bevorzugte 
Stellung ein. Denn würde nach der Ein- 
wohnerzahl des kleinsten Staats das 
Stimmengewicht der anderen in Verviel- 
fachung berechnet, so müßte z. B. schon 
das Königreich Sachsen etwa 100 Stim- 
men führen, während es vier hat. Der 
stärkste Einstimmenstaat ist Hamburg, 
welcher an Einwohnern bereits das zwei- 
stimmige Schwerin überholte. Die vielen 
Einerstimmen haben indes eine besondere 
Aufgabe. Fürst Bismarck sagte: Die 
Kleinstaaten sind der Mörtel zwischen den 
Quadern; wären im Bundesverhältnis 
lauter größere Staaten, so würde die Ver- 
fassung sich schwieriger ausführen lassen. 
Die Kleinstaaten, welche in ihren Inter- 
essen bald hierhin, bald dorthin gezogen 
werden, können ein Bindeglied bilden. 
Namentlich, wenn mehrere Stimmen in 
einer Hand sind — so haben die Thürin- 
ger Staaten zusammen meist einen ge- 
meinsamen Bevollmächtigten, ebenso die 
Hansastädte —, erwächst daraus eine er- 
hebliche Stellung. 
Für den Fall, daß mehrere Staaten sich 
vereinigen würden zu einem, sind keine 
Bestimmungen getroffen. Im Geist der 
Verfassung liegt jedoch, daß ein kleiner 
Staat nur eine Stimme haben soll. Wenn 
z. B. zwei regierende Linien, Reuß oder 
Schwarzburg, sich vereinigen, nicht in der 
Form einer Union, welche beide Staats- 
wesen als solche beläßt, sondern in voller 
Verschmelzung zu einem einzigen Für- 
stentum, so wird die gewisse Folge sein, 
daß man aus den zwei Stimmen eine 
macht. Ob dies im Weg der Konstatie- 
rung als Rechtsfolge oder des Verzichts 
auf eine Stimme oder einer Verfassungs- 
revision geschehen wird, ist eine unter- 
geordnete Frage. 
Im übrigen ist aus der bestehenden 
Stimmverteilung, soweit sie mehr als das 
selbstverständliche Mindestrecht aller auf 
eine Stimme gibt, ein bestimmtes Recht 
einzelner Bundesstaaten erwachsen in 
deren Verhältnis zur Gesamtheit und da- 
her nicht ohne Zustimmung des berech- 
tigten Bundesstaats abänderlich. 
Die preußische Stimme ist insofern 
potenziert, als sie bei Stimmengleichheit 
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