Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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zufolge ihrer Eigenschaft als „Präsidial- 
stimme‘‘ den Ausschlag gibt, also, nu- 
merisch ausgedrückt, sich in diesem Ein- 
zelfalle von 17 auf 18 in der Wirkung er- 
höht. Die Präsidialstimme, R 7 Abs 3, 
heißt so viel wie die Bundespräsidiums- 
stimme, nicht die Stimme des Vorsitzen- 
den im BR. Es kann in einer 
Sitzung Preußen sich für den Vorsitz ver- 
hindert erklären. Das geschieht aus Cour- 
toisie, um wahr zu machen, was im baye- 
rischen Bündnisvertrag (Ziffer 9 des 
Schlußprotokolls) enthalten ist: „Der Kö- 
niglich Preußische Bevollmächtigte er- 
kannte es als ein Recht der bayerischen 
Regierung an, daß ihr Vertreter im Falle 
der Verhinderung Preußens den Vorsitz 
im Bundesrate führt.“ Daß Preußen in 
Wahrheit nie verhindert ist, leuchtet ein. 
Es kann immer jemanden schicken und 
ist auch stets vertreten, wenn es den Vor- 
sitz abgibt. Aber die Bestimmung wird 
so aufgefaßt: Wenn der Reichskanzler 
oder sein regelmäßiger Stellvertreter, der 
Staatssekretär des Innern, verhindert ist, 
dann gilt es nicht für schicklich, einen an- 
deren preußischen Bevollmächtigten über 
den bayerischen Stimmführer zu setzen. 
Preußen überläßt ihm dann durch Substi- 
tution den Vorsitz; er ist demzufolge zeit- 
weise Präsident des BR und leitet die 
Sitzung. Aber damit erhält nicht etwa 
Bayern das Präsidium des Bundes selbst, 
alle Bundespräsidialrechtte sind und 
bleiben Zuständnisse der preußischen 
Krone und die Stimme des nichtvorsitzen- 
den preußischen Bevollmächtigten wird 
dann zur Stichstimme. Korrekterweise, 
denn es handelt sich nie im Plenum um 
persönliche, sondern nur um Staatenab- 
stimmung. 
Eine weit wichtigere Potenzierung der 
preußischen Stimme liegt im Vetorecht 
dieses Staats aus R 5 Abs 2, 7 Abs 3, 
35 und 37. Denn nicht nur bei Stimmen- 
gleichheit, sondern sobald im BR eine 
Meinungsverschiedenheit besteht (mit an- 
anderen Worten, sobald eine preußische 
Stellungnahme nicht allseits geteilt wird) 
in bezug auf Gesetzesvorschläge über 
Militärwesen, Kriegsmarine oder be- 
stimmte Grundquellen der Reichseinnah- 
men (Zölle, Abgaben vom Salz, Tabak, 
Branntwein, Bier, Zucker), so gibt die 
Stimme des Präsidiums den Ausschlag, 
wenn sie sich für die Aufrechterhaltung 
der bestehenden Einrichtungen ausspricht. 
  
Bundesrat. 
Darin liegt für das Wehr- und Finanz- 
wesen, die beiden Säulen eines Staates, 
Sicherheit gegen Erschütterungen. 
Ebenso ist die Stimme jedes Einzel- 
staats, selbst des kleinsten, potenziert, 
wenn es sich darum handeln würde, ihm 
ein verfassungsmäßig geschütztes Einzel- 
recht gegenüber der Gesamtheit der Bun- 
desgenossen zu mindern oder zu entzie- 
hen, R 78 Abs 2; gewisse Eintrittsbe- 
dingungen der Gliedstaaten in den Reichs- 
verband sollen nicht nachträglich seitens 
der Gesamtheit ohne Einwilligung des 
Berechtigten verändert werden können, 
weil dies gegen die Vertragstreue versto- 
Ben würde. Also auch hier besteht ein 
Veto. Die Darstellung desselben gehört 
aber einer anderen Lehre an. 
Endlich wird die Regel, daß die Be- 
schlußfassung im BR mit einfacher 
Mehrheit geschieht, R 7 Abs 3, durch- 
brochen durch die allgemeine Ausnahme, 
daselbst 78 Abs 1, daß Verfassungsände- 
rungen als abgelehnt gelten, wenn sie im 
BR (für den Reichstag ist eine qualifizierte 
Mehrheit nicht erfordert) 14 Stimmen ge- 
gen sich haben; im Norddeutschen Bunde 
war eine positive Mehrheit von zwei Drit- 
teln erfordert, die im Bündnisvertrag mit 
Baden und Hessen auf drei Viertel gestei- 
gert wurde. Die jetzige Fassung stellt, 
nachdem Bayern zunächst für sich ein 
allgemeines Veto gegen Verfassungsän- 
derungen angestrebt hatte, ein Kompro- 
miß dar mit dem Zweck, den Einzelstaa- 
ten eine Sicherung gegen solche Erweite- 
rungen der Reichsgewalt zu geben, welche 
auch nur eine mäßige Minderheit der Staa- 
ten ablehnt. Ein Zusammenschluß von 
14 Stimmen (Preußen besitzt sie in sich 
schon und daher ein unbeschränktes Veto 
gegen Verfassungsänderungen) ist ge- 
geben, sowohl wenn wenige Mittelstaaten 
(etwa Bayern mit 2 Königreichen) oder 
viele Kleinstaaten sich zusammentun oder 
die 3 Südstaaten (Bayern, Württemberg, 
Baden) noch Hessen oder eine mittel- 
oder norddeutsche Stimme für sich haben. 
Die Abstimmung im Plenum ist zwar 
rechtlich allein entscheidend; auch tat 
sächlich, sobald es sich um die Messung 
der Kräfte des Stimmengewichts bei wich- 
tigeren Differenzen handelt. Aber das 
Stimmengewicht in den Ausschüssen, s. V, 
ist für die Masse der Bundesratsgeschäfte 
von größerer Erheblichkeit und ganz an- 
ders gelagert: Ist auch das Plenum die
	        
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