Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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nige Sätze der Person der Bevollmächtig- 
ten selbst und stellt fest: 
1. die Unzulässigkeit, eine Bundesrats- 
vollmacht und ein Reichstagsmandat zu- 
gleich zu besitzen, ferner 
2. das Recht freier Rede im Reichstag, 
wobei festzuhalten ist, daß dieselben als 
Glieder einer dem Reichstag unabhängig 
gegenüberstehenden Regierungskörper- 
schaft keiner Sitzungspolizei und Ord- 
nungsgewalt des Reichstags unterworfen 
sein können, — 
3. daß dem Kaiser obliege, den üblichen 
diplomatischen Schutz zu gewähren, d.h. 
staatsrechtlich die Privilegien, die völker- 
rechtlich Gesandte genießen, einzuräu- 
men. Dies ist aber nur auf die nicht- 
preußischen Bevollmächtigten (auch nicht 
auf bloße Kommissare) zu beziehen; der 
König von Preußen kann füglich nicht 
seinen eigenen Vertretern diplomatischen 
Schutz geben. Die Königreiche, die mei- 
sten Großherzogtümer, die Hansastädte 
(früher Braunschweig) pflegen ihre stimm- 
führenden Bevollmächtigten zugleich zu 
Gesandten am preußischen Hof zu ernen- 
nen, so daß diese die Exterritorialität 
ohnedies völkerrechtlich besitzen. 
Außerdem ergibt sich aus früher Ge- 
sagtem, daß die Bevollmächtigten 
4. dem Reichstag gegenüber keinerlei 
Verantwortlichkeit haben; die ihrige be- 
steht nur kraft Amtspflicht ihrem Hei- 
matsstaat gegenüber, insbesondere für ge- 
treuliche, sachgemäße Ausübung der Voll- 
macht und speziell Befolgung der Instruk- 
tion, wo nicht überwiegende Gründe eine 
Abweichung rechtfertigen. Die Bevoll- 
mächtigten können daher auch im Reichs- 
tag nicht interpelliert werden und tun gut, 
jeden Schein einer Rechenschaft zu mei- 
den. Andererseits haben sie, ohne Vor- 
schrift, stets en vedette zu stehen, um ihr 
Land und dessen Wohl zu wahren, Be- 
hauptungen über dortige mangelhafte Er- 
füllung der Pflichten gegen das Reich zu- 
rückzuweisen, jedoch auch sich an der 
Vertretung der Entwürfe, welche der BR 
beschlossen hat, und der Beurteilung von 
Amendements je nach Anlaß und an der 
Pflege der Reichswohlfahrt zu beteiligen. 
Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt 
jedoch in den Beratungen von BR und 
Ausschüssen, in der Verhandlung mit 
Reichsressorts und anderen gliedstaat- 
lichen Vertretungen, in der Berichterstat- 
tung heimwärts und in der ganzen Sach- 
  
Bundesrat. 
bearbeitung der ihnen anvertrauten Inter- 
essen, Anträge und Referate. 
VIII. (Gesetzgebungsarbeit des BR.) 
Eine nähere Darstellung der Funktionen 
des BR ist hier nicht zu geben. Sie müßte 
tief in Gesetzgebungs- und Verordnungs- 
wesen, Reichsverwaltung und -haushalt 
mit allen Einzelzweigen, Schlichtung der 
Staatsstreite und anderes, damit aber in 
Materien hineinführen, welchen besondere 
Artikel gewidmet sind. Hier kann es sich 
nur handeln um die Sammlung haupt- 
sächlicher Sachzusammenhänge, welche 
zum BR bestehen, und um Streiflichter auf 
Punkte, welche dabei ihn ganz besonders 
berühren ; auf diese Weise entsteht immer- 
hin ein Bild seiner so vielfachen Tätigkeit. 
Die Gesetzgebungsgewalt zunächst 
ruht zwar überall ungeteilt beim Reiche. 
Aber in der praktischen Ausübung er- 
scheint sie zwischen drei Faktoren geteilt. 
Während die formellen Zuständnisse (Ein- 
bringung der Regierungsvorlagen, Aus- 
fertigung und Verkündung der Reichsge- 
setze) dem Kaiser zukommen, wird mate- 
riell die Legislative durch BR und Reichs- 
tag zusammen ausgeübt; „die Überein- 
stimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider 
Versammlungen ist zu einem Reichsgesetz 
erforderlich und hinreichend‘, R5 Abs 1, 
vorbehaltlich der in IV oben, Abs 4—8, 
bezeichneten Qualifikationen der Mehrheit 
und Vetorechte. BR und Reichstag haben 
je die Gesetzesinitiative, R7 Ziff 1, 16, 23, 
und über jeden Beschluß des Reichstags 
hat noch der BR zu beschließen. Nach 
richtiger Ansicht, vgl Wortlaut der eben 
genannten R 7 Ziff 1, auch dann, wenn 
der Reichstag einem Regierungsentwurf 
pure beitrat; zum politischen Regiment 
gehört naturgemäß auch die Abwägung 
der wechselnden Zeitumstände im ent- 
scheidenden Moment, und in einer Reichs- 
tagsberatung können in einen Entwurf 
ohne Änderung des Wortlauts Dinge hin- 
eingelegt worden sein, mit welchen den 
andere Faktor nicht einverstanden ist. In 
einem Punkte sind freilich die Rollen bei- 
der ungleich: der BR kann weder an sei- 
nen eigenen Entwürfen, wenn sie einmal 
beim Reichstag eingebracht sind, noch an 
dessen Endbeschlüssen mehr etwas amen- 
dieren, er empfängt vielmehr die letz- 
teren als unabänderliche mit der einzigen 
Wahl zwischen Annahme und Ablehnung, 
entbehrt also eines im Zweikammersystem 
selbstverständlichen und sachlich für ob-
	        
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