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zugewiesen wurden. Allerdings sind
durch das verfassungsändernde Gesetz
vom 14. Mai 1904, welches die Matrikular-
beiträge zu einer dauernden Einrichtung
umschuf, die Worte: „solange Reichssteu-
ern nicht eingeführt sind‘ wieder aus
Art 70 gestrichen. Die in Art 4 Ziff 2 be-
gründete formelle Zuständigkeit des
Reichs zur Einführung direkter Reichs-
steuern ist aber damit nicht beseitigt. Die
Reichsregierung nimmt diese Zuständig-
keit theoretisch auch für sich in Anspruch
(Staatsminister Sydo w in der Deutschen
Rundschau 35 7).
In der Ausübung seiner formellen Be-
fugnis zur Einführung direkter Reichssteu-
ern muß sich aber das Reich äußerst be-
schränken. Weil das Reich ein Bundes-
staat ist, sind verfassungmäßig die staat-
lichen Aufgaben zwischen Reich und Ein-
zelstaaten geteilt, also auch den Einzel-
staaten verfassungsmäßig staatliche Auf-
gaben zugewiesen. Zu deren Erfüllung
bedürfen die Einzelstaaten eigener Steu-
ern und eigener Finanzhoheit; beides den
Einzelstaaten nach dem Umfange ihrer
staatlichen Aufgaben zu belassen, ist ver-
fassungsmäßige Pflicht des Reiches. Tat-
sächlich hat sich die Steuerwirtschaft seit
der Gründung des Reiches so entwickelt,
daß bisher das Reich, abgesehen von der
Erbschafts- und der Tantiemesteuer, nur
indirekte Steuern erhebt und daß die Ein-
zelstaaten 3/, ihres Steuerbedarfs aus di-
rekten Steuern decken. Wollte das Reich
jetzt die eine oder die andere der haupt-
sächlichen direkten Steuern, z. B. die Ein-
kommen- oder die Vermögenssteuer, un-
mittelbar für seine Zwecke heranziehen,
so würde es dadurch die Finanzwirtschaft
der Einzelstaaten von Grund aus erschüt-
tern, deren Finanzhoheit übermäßig be-
schneiden und sie gefährlich an der Erfül-
lung ihrer staatlichen Aufgaben hindern.
Darum muß das Reich nach den Grundge-
danken seinerVerfassung, solange es seine
Steuerbedürfnisse ohne Gefährdung der
eigenen Existenz anders befriedigen
kann, den Einzelstaaten wenigstens dieje-
nigen direkten Steuern ausschließlich be-
lassen, auf denen die Finanzwirtschaft der
Einzelstaaten hauptsächlich beruht, na-
mentlich also ‘die Einkommen- und die
Vermögenssteuer.
Laband Direkte Reichssteuern, 3. Aufl, 08, mit um-
fangreichen Literaturangaben; Köppe Am Vorabend der
neuen Reichsfinanzreform, 08. Frormann.
Direkte Steuern in Preußen. Die
Direkte Reichssteuern — Direkte Steuern in Preußen.
sachlichen, vorzugsweise Geldmittel, de-
ren eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts, also Reich, Staat usw zu ihrem Da-
sein, zur Erhaltung der ihr obliegenden
Aufgaben gerade so bedarf wie der ein-
zelne, eine Vereinigung mehrerer Men-
schen, schöpft sie einmal als Erwerbsein-
künfte aus ihrer Beteiligung am privat-
wirtschaftlichen Verkehr im Wettbewerb
| mit anderen, aus den (staatlichen) Be-
triebsverwaltungen, den sog Überschuß-
verwaltungen, aus dem Besitz und Ertrag
von Domänen, Bergwerken, Eisenbahnen
usw. Dieser Verkehr wird zum Monopol,
wenn jeder andere rechtlich von der glei-
chen Unternehmung ausgeschlossen ist,
und jeder, wenn er einer derartigen Lei-
stung sich bedienen will, das Unterneh-
men gegen eine einseitig festgestellte Ge-
bühr benutzen muß: Post, Telegraphie
usw. Gebühren werden aber auch erho-
ben für die Benutzung Öffentlicher Anla-
gen und Leistungen, denen die Monopol-
eigenschaft abgeht: Straßen, Brücken, Ka-
näle usw. So ist Gebühr das in Aus-
übung der Finanzgewalt einseitig festge-
stellte Entgelt für eine zu Öffentlichen
Zwecken gemachte spezielle Leistung des
Abgabeberechtigten, für öffentliche Lei-
stungen und für öffentliche Einrichtungen.
Bedarf nun die Körperschaft über die
auf diesem Wege beschafften Mittel hin-
aus noch weiterer, so bleibt ihr nur die Er-
hebung von Steuern übrig. Danach unter-
scheidet sich, nebenbei bemerkt die öf-
fentliche Wirtschaft von der privaten: dort
wird zunächst der Bedarf aufgestellt und
dann die Deckung gesucht, während sich
in der Privatwirtschaft die Ausgaben nach
den Einnahmen zu richten haben. In
Preußen werden 49,9 v. H. der reinen
Staatsausgaben durch die Reinerträge der
privatwirtschaftliichen Unternehmungen
gedeckt, also nur die Hälfte durch Steu-
ern. Wo jene, wie in Frankreich, nur
schwach entwickelt sind, muß die Steuer-
last bedeutend höher sein.
Die Steuern waren anfänglich eine
außerordentliche Beihilfe der Einzelwirt-
schaften für öffentliche Zwecke, außeror-
dentlich insbesondere auch der Zeit nach:
sie wurden nur je nach Bedarf als Auf-
lagen ausgeschrieben. Die Entwickelung
des staatlichen Gedankens hat, freilich un-
ter steten Kämpfen zwischen Fürst und
Ständen, Kämpfen, die zur Beseitigung der
Stände führten, die fortlaufende Erhebung