Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

360 
zugewiesen wurden. Allerdings sind 
durch das verfassungsändernde Gesetz 
vom 14. Mai 1904, welches die Matrikular- 
beiträge zu einer dauernden Einrichtung 
umschuf, die Worte: „solange Reichssteu- 
ern nicht eingeführt sind‘ wieder aus 
Art 70 gestrichen. Die in Art 4 Ziff 2 be- 
gründete formelle Zuständigkeit des 
Reichs zur Einführung direkter Reichs- 
steuern ist aber damit nicht beseitigt. Die 
Reichsregierung nimmt diese Zuständig- 
keit theoretisch auch für sich in Anspruch 
(Staatsminister Sydo w in der Deutschen 
Rundschau 35 7). 
In der Ausübung seiner formellen Be- 
fugnis zur Einführung direkter Reichssteu- 
ern muß sich aber das Reich äußerst be- 
schränken. Weil das Reich ein Bundes- 
staat ist, sind verfassungmäßig die staat- 
lichen Aufgaben zwischen Reich und Ein- 
zelstaaten geteilt, also auch den Einzel- 
staaten verfassungsmäßig staatliche Auf- 
gaben zugewiesen. Zu deren Erfüllung 
bedürfen die Einzelstaaten eigener Steu- 
ern und eigener Finanzhoheit; beides den 
Einzelstaaten nach dem Umfange ihrer 
staatlichen Aufgaben zu belassen, ist ver- 
fassungsmäßige Pflicht des Reiches. Tat- 
sächlich hat sich die Steuerwirtschaft seit 
der Gründung des Reiches so entwickelt, 
daß bisher das Reich, abgesehen von der 
Erbschafts- und der Tantiemesteuer, nur 
indirekte Steuern erhebt und daß die Ein- 
zelstaaten 3/, ihres Steuerbedarfs aus di- 
rekten Steuern decken. Wollte das Reich 
jetzt die eine oder die andere der haupt- 
sächlichen direkten Steuern, z. B. die Ein- 
kommen- oder die Vermögenssteuer, un- 
mittelbar für seine Zwecke heranziehen, 
so würde es dadurch die Finanzwirtschaft 
der Einzelstaaten von Grund aus erschüt- 
tern, deren Finanzhoheit übermäßig be- 
schneiden und sie gefährlich an der Erfül- 
lung ihrer staatlichen Aufgaben hindern. 
Darum muß das Reich nach den Grundge- 
danken seinerVerfassung, solange es seine 
Steuerbedürfnisse ohne Gefährdung der 
eigenen Existenz anders befriedigen 
kann, den Einzelstaaten wenigstens dieje- 
nigen direkten Steuern ausschließlich be- 
lassen, auf denen die Finanzwirtschaft der 
Einzelstaaten hauptsächlich beruht, na- 
mentlich also ‘die Einkommen- und die 
Vermögenssteuer. 
Laband Direkte Reichssteuern, 3. Aufl, 08, mit um- 
fangreichen Literaturangaben; Köppe Am Vorabend der 
neuen Reichsfinanzreform, 08. Frormann. 
Direkte Steuern in Preußen. Die 
  
  
Direkte Reichssteuern — Direkte Steuern in Preußen. 
sachlichen, vorzugsweise Geldmittel, de- 
ren eine Körperschaft des öffentlichen 
Rechts, also Reich, Staat usw zu ihrem Da- 
sein, zur Erhaltung der ihr obliegenden 
Aufgaben gerade so bedarf wie der ein- 
zelne, eine Vereinigung mehrerer Men- 
schen, schöpft sie einmal als Erwerbsein- 
künfte aus ihrer Beteiligung am privat- 
wirtschaftlichen Verkehr im Wettbewerb 
| mit anderen, aus den (staatlichen) Be- 
triebsverwaltungen, den sog Überschuß- 
verwaltungen, aus dem Besitz und Ertrag 
von Domänen, Bergwerken, Eisenbahnen 
usw. Dieser Verkehr wird zum Monopol, 
wenn jeder andere rechtlich von der glei- 
chen Unternehmung ausgeschlossen ist, 
und jeder, wenn er einer derartigen Lei- 
stung sich bedienen will, das Unterneh- 
men gegen eine einseitig festgestellte Ge- 
bühr benutzen muß: Post, Telegraphie 
usw. Gebühren werden aber auch erho- 
ben für die Benutzung Öffentlicher Anla- 
gen und Leistungen, denen die Monopol- 
eigenschaft abgeht: Straßen, Brücken, Ka- 
näle usw. So ist Gebühr das in Aus- 
übung der Finanzgewalt einseitig festge- 
stellte Entgelt für eine zu Öffentlichen 
Zwecken gemachte spezielle Leistung des 
Abgabeberechtigten, für öffentliche Lei- 
stungen und für öffentliche Einrichtungen. 
Bedarf nun die Körperschaft über die 
auf diesem Wege beschafften Mittel hin- 
aus noch weiterer, so bleibt ihr nur die Er- 
hebung von Steuern übrig. Danach unter- 
scheidet sich, nebenbei bemerkt die öf- 
fentliche Wirtschaft von der privaten: dort 
wird zunächst der Bedarf aufgestellt und 
dann die Deckung gesucht, während sich 
in der Privatwirtschaft die Ausgaben nach 
den Einnahmen zu richten haben. In 
Preußen werden 49,9 v. H. der reinen 
Staatsausgaben durch die Reinerträge der 
privatwirtschaftliichen Unternehmungen 
gedeckt, also nur die Hälfte durch Steu- 
ern. Wo jene, wie in Frankreich, nur 
schwach entwickelt sind, muß die Steuer- 
last bedeutend höher sein. 
Die Steuern waren anfänglich eine 
außerordentliche Beihilfe der Einzelwirt- 
schaften für öffentliche Zwecke, außeror- 
dentlich insbesondere auch der Zeit nach: 
sie wurden nur je nach Bedarf als Auf- 
lagen ausgeschrieben. Die Entwickelung 
des staatlichen Gedankens hat, freilich un- 
ter steten Kämpfen zwischen Fürst und 
Ständen, Kämpfen, die zur Beseitigung der 
Stände führten, die fortlaufende Erhebung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.